Kreativität ohne Vorsatz

Heute ist mir was merkwürdiges passiert. Wobei ja “merkwürdig” für sich schon ein merkwürdiges Wort ist, muss man sich sowas merken? Oder ist es würdig, es zu bemerken. Oder ist dieses “würdig” die Umschreibung dafür, dass man es eben bemerkt hat?
Jedenfalls hat mir M. eine Person in einer Menschenansammlung gezeigt, ob ich ihn kenne, er sei der “Mutterhirte” dieses oder jenen Vereins. Für einen Moment war ich total überwältigt von dieser hervorragenden Bezeichnung, genau die richtige Menge an trockenem Witz und so unaffektiert vorgetragen. Im übrigen kannte ich die Person, lediglich ihren Namen nicht.
Sofort sprach ich meine Hochachtung aus für die gelungene Formulierung, welche auch dankend angenommen wurde, mit dem Hinweis darauf, dass es garnicht so gesagt wurde.
Was genau gesagt wurde, wurde nicht mehr klargestellt oder ich habe es vergessen, ich vermute allerdings “Oberhirte”.
Mir ist jetzt zwar klar, dass das wohl keiner außer mir lustig gefunden hätte, geschweige denn bemerkenswert. Allerdings wollte ich ja auch auf was anderes hinaus. Diese Kreativleistung – wir sind uns ja alle dessen bewußt, dass diese bei jedem zu Hauf passieren im Gehirn, auch wenn sie nicht zwingend ins Bewußtsein dringen, sondern selektiert eingespeist werden, was schon allein dafür nötig ist, um nicht gegen eine Tür zu rennen – tat ich wie oben bemerkt ohne Vorsatz und unbewußt. Es war also wahrnehmungstechnisch wohl eine Verkennung.
Wer kann sich also – nicht dass es darüber Streit gäbe, denn ich habe M. schon bei meiner Hochachtungsbekundung mitgeteilt, dass ich die Formulierung vielleicht manchmal zu verwenden gedenke, wogegen er nichts hatte – der Urheberschaft (nicht im blödeligen rechtlichen Sinne) rühmen?
Darf man sowas ausnutzen? Hätte M. mir nicht mitgeteilt, dass es dabei mitnichten um seine Schöpfung geht, wäre ich weiterhin der Meinung, sie wäre es. Er hätte mich also belogen. Das hätte er allerdings nicht, wenn er der Meinung gewesen wäre, er selbst hätte es wiederum bei meiner “Wiederholung” falsch verstanden. Er hätte dann zwar der Meinung sein sollen, ich hätte einen seltsamen Humor, aber das ist er wohl auch sowieso.
Jedenfalls, hätte er absichtlich gelogen, wäre das sicherlich falsch gewesen.
Das macht es noch lange nicht zu meiner Leistung. Vielleicht sollte man ja häufiger nuscheln oder in Umgebungen mit einem hohen Geräuschpegel Smalltalk machen oder einfach Zungenkrebs bekommen, dann würde man sicherlich schlechter Verstanden und die Zahl der Verkennungen eventuell steigern und könnte so das Fett fremder Kreativität abschöpfen, während man sich ständig im Sicherheitsnetz der Abstreitbarkeit befindet. Vielleicht führt dieser Weg zur breiten Achtung als großen Philosoph, vielleicht aber auch nur zum Verlust der Zunge, die man ja nicht nur zum Sprechen benötigt.
Ich versuche mich folglich lieber weiterhin nur schriftlich am optimalen Maß an Unverständlichkeit mit dem Ziele der Nutzbarmachung fremder Assoziationsenergie. Fremdkreativität mir Vorsatz also. Wenn ich Glück habe, verfasse ich so einmal den Artikel, der plötzlich jedem den Weg klarmacht, wie die perfekte Welt erreicht werden kann und auch noch davon überzeugt, sofort loszugehen.
Wenn ich Pech habe, ist Eitelkeit in der perfekten Welt unangebracht und ich kann mich nicht im Ruhm sonnen, den Anstoß zur Rettung der Welt gegeben zu haben.
Im absoluten Worstcaseszenario versuche ich es trotzdem, aber jeder denkt, es wäre ihm selbst eingefallen und im Streit über die Klärung löscht sich die Menschheit selbst aus. Tja, Satan mag gebratenes, aber aus evolutionärer Sicht wäre die Auslöschung der Menschheit sicherlich kein großer Fehler. Und sollte Satan nur in den Köpfen der Menschen existiern (was ich bezweifle), wäre er gleich mitbeseitigt.
Alles klar? – Verdammt!

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