Kategorie: Buch IV


Das brennende Kind

26. August 2012 - 17:59 Uhr

Als ich das brennende Kind sah, wusste ich, dass der Abend gerettet war.
Es schien ein ganz normaler Tag zu werden, noch als ich das Haus verließ. Garstig war es, übertrieben scharf schnitt der Wind in exponierte Körperoberflächen und wühlte sich seinen ärgerlichen Weg durch inakkurate Kleidungsübergänge, aber das war ja inzwischen häufig so.
Den Hut ins Gesicht und die Atmung bronchienschonend, ließ ich meine Beine den Weg zu meinem vorläufigen Ziel gehen, während mir selbst zu dem Zeitpunkt nicht viel übrig blieb, als sie dabei zu beobachten; zumal diese Krummhaltung die Angriffsfläche für die kalten Luftklingen zu verringern schien. Ich konnte noch nicht mit dem Finger darauf zeigen, aber irgendwas war falsch.
Man konnte zwar nicht sagen, dass etwas in der Luft lag – die war klar und roch fast ausschließlich nach Kälte. Auch die Optik war eigentlich okay, zumindest angemessen. Insgesamt war es eher hell als grau und die Sonne gab sich bisweilen auch die Ehre, gelegentlich ihr Antlitz durch die Himmelsauskleidung zu schieben. Also daran konnte es nicht liegen, das wäre eigentlich mehr richtig gewesen.
Es mussten die Menschen sein; umso belebter die Orte wurden, an denen ich mich aufhielt, umso stärker wurde dieses Gefühl der Unrichtigkeit. Nur konnte ich nicht herausfinden, was da so gerade schief lief, ich hatte nämlich schon seit Ewigkeiten keinen Menschen mehr angesehn.
Hatten die Leute schon immer diese tumben Blicke? War dieses abgestumpfte Anenandervorbeireden, diese absolut unaufrichtig-ziellose Kommunikation schon länger Usus? War es nicht diese zombiehafte Interaktion, die mich meinen Rückzug aus dem Gemeinwesen antreten ließ?
Nein! So war es doch nicht gewesen, eigentlich wollte ich doch nur eine kleine Pause von der Welt machen, mal klarkommen. Aber was war inzwischen geschehen und wie konnte das so an mir vorbeigegangen sein?
Die wenigen Kinder die ich sah, waren entweder gefangen in den, gleichwohl sich fortwährend wandelnden und somit unverlässlichen, Vorschriftskäfigen allderer, die gerade Lust hatten, Kommandos auszuscheiden, oder von dieser Tatsache in pathologischer Weise in einem unerträglichen Gemütszustand zwischen Apathie und Ruhelosigkeit verhaftet. Diese unstrukturiert-feindselige Willkürlichkeit, mit der ihnen die Welt gegenübertrat, hatte sich nun also in die tödliche Spirale verdichtet, ihnen, den naturgemäß Unkundigen die notwendige Orientierung, die sie instinktiv suchen, aus unklaren bis niederen Motiven vorzuenthalten.
Konsequentes Zunichtemachen von Erfahrungskonzepten, die mit Eigensinn, Freude, Abwechslung oder Entdecken zu tun haben, hat die Kinder zu verdatterten Weltresignierern werden lassen, die zur Verhinderung von Desillusionierung das Entstehen von Illusionen und das Testen von Handlungsweisen konsequent vermeiden und sich so auf eine paranoide Minimalinteraktionsroutine reduzieren. So wachsen sie dann auch heran zu solchen visions- und ethikfreien Massenbestandteilen mit Hirnkorsett, wie denjenigen, von denen sie momentan wechselweise vernachlässigt oder herumgescheucht werden.
Ich musste etwas tun, also sah ich mich um. Auf den ersten Blick schien es tatsächlich so zu sein, wie ich befürchtete.
Eines der Kinder jedoch, dessen wiederkehrende Wischbewegung über den Tisch, an dem zu sitzen es gezwungen war, ich als reinen Übersprungshospitalismus abgetan hatte, schien damit doch mehr zu bezwecken: die Bewegungen waren zwar in gewisser Weise gleichförmig, variierten aber bei genauerer Betrachtung im Andruck der einzelnen Finger und der Handfläche, der Stellung zueinander und so weiter. Das Kind schien die Oberflächenstruktur der Tischplatte zu untersuchen, die Reibung der Hand, das Gefühl, das sie verursachte.
Der Einfallsreichtum in puncto Abwandlung des Expriments war beeindruckend, zumal es scheinbar unter der Prämisse abzulaufen hatte, unentdeckt zu bleiben. Denn als es meinen Blick entdeckte, zuckte es in dem ärgerlichen Kulturreflex zusammen, alles dem Anschein nach nicht zielführende oder irgendwelchen oft unbekannten Willkürlichkeiten widersprechende sei per se falsch und folglich zu unterlassen.
Das von meinem Blick aufgescheuchte Kind verharrte einige Zeit reglos und wagte nicht, mich anzusehen. Nach einer Testphase von verstohlenen oder als Zufälle maskierten Kontrollblicken musste es feststellen, dass ich es unentwegt anschaute.
Es fasste schließlich den Mut, meinen Blick offen zu erwidern und schien nun über meine Motive nachzugrübeln, beziehungsweise mich im geistigen Zwiegespräch unserer beiden Augenpaare danach zu befragen.
Nachdem ich ihm mitgeteilt hatte, dass ich ihm nicht übelgesonnen sei, fand ich, ich müsste auch seine Forschung unterstützen, zumal diese bei ihm gefährdet zu sein schien, unterdrückt zu werden, wie seine anfängliche Schreckreaktion zu zeigen schien.
Also nahm ich ein Päckchen Zucker, das mit meinem Kaffee gekommen war, versicherte mich meines Publikums, riss eine Ecke ab und leerte den Inhalt als ein kleines Häufchen auf den Tisch.
Alsbald streckte ich meinen Zeigefinger aus und begann, kreisende Muster in den Haufen zu zeichnen, bis sich der Haufen in eine Fläche aus eben liegenden Zuckerkörnchen verwandelte, die die gezeichneten Muster im Kontrast zur blanken Tischplatte darstellte. Ein kurzer Seitenblick: ich wurde aufmerksam beobachtet.
Nun ahmte ich des Kindes Spiel mit der Handfläche auf meiner gezuckerten Tischplatte nach. Die Körnchen, die sich in selbst geschaffenen Eintiefungen wie in Furchen rollend durch meine Haut schoben, erzeugten ein angenehm kitzelndes Gefühl, das sich deutlich von dem unterschied, welches die unbewegt an meiner Haut klebenden produzierten, die mehr schleifend über die Platte kratzden und sich so in feine, unregelmäßige Schwingungen versetzten.
Die wachen, funkelnden Augen des Kindes hatten all das aufmerksam beobachtet. Der zuerst gerade Mund hatte sich in der Zwischenzeit zu einem erst leichten dann staunend offenen Lächeln geweitet, über das das Kind selbst, als es sich dessen gewahr wurde, merklich erschak, weil es seine antrainierte Tarnung verloren hatte.
Es fand sogleich seine Fassung wieder und saß erneut vollkommen unauffällig am Tisch der Triebtöter.
Ich faltete schließlich die Hände und rieb mir langsam die klebengebliebenen Zuckerkörnchen von der Handfläche, die – sie hüpfen erstaunlich gut – sich, gleichsam dem großen Finale entgegenspringend, auf dem ganzen Tisch verteilten. Ich leckte meine Zeigefingerspitze an und begann genüsslich, die herumliegenden Körnchen aufzulesen und die süße Beute auf meine Zunge zu befördern.
Es gab für das Kind keine Möglichkeit, an Zucker zu kommen, geschweige denn ohne Zwangsmaßnahmen erwarten zu müssen den Versuch nachzuexerzieren, doch ich bemerkte darüber keine Verbitterung in seinem Blick. Im Gegenteil. Einzig verblieben war ein entschlossenes Glühen in den Augen, das mich sehr beruhigte. Denn es verhieß die Gewissheit, dass das Experiment bei nächster Gelegenheit nachempfunden werden würde als einer von zahllosen Bausteinen einer ewigen Entdeckungsreise eines mit unstillbarem natürlichen Interesse ausgestatteten Wesens.
Als ich meine Exkursion in die Welt begonnen hatte, hatte es noch so gewirkt, als würde ich später heimkehren müssen, ernüchtert und erbost über die Unkultur der Stumpfheit und des Abwürgens sämtlicher selbstgesteuerter Entwicklungsfähigkeit. Doch dann entdeckte ich ja glücklicherweise diese schwelende Glut der Wissbegierigkeit in den intelligenten Augen dieses Kindes und durfte helfen, diese weiter anzufachen. Und als ich das brennende Kind sah, wusste ich, der Abend war gerettet.

zuvor auf der Bank der Künste veröffentlicht

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Abschied von Buch IV

15. August 2012 - 23:46 Uhr

Mit dem morgen um 17:59 auf der Bank der Künste erscheinenden Beitrag über das brennende Kind, der schon zur Hälfte in Buch V steht, hat auch mein 4. Notizbuch seine Schuldigkeit getan und darf – leicht gebläht von Korrekturfahnen und insgesamt etwas aus der Form gewalkt und geblättert – seinen Reservedienst im Regal bei den anderen antreten. Es verbleiben noch einige Fragmente, die ich nicht oder noch nicht weiter bearbeitet habe oder vielleicht sogar verworfen oder die als Notiz schon ihre Pflicht getan haben und die ich trotzdem als Fragment verkleide. Ich blättere also nochmal durch und verhelfe ihnen zu ihrem recht:

Warum darf man nicht auf die Treppen
…fragte ich mich in Berlin an einem Mittwoch vor dem Reichstagsgebäude vor einem Jahr etwa. Wenn man nicht mal mehr auf einige zehn Meter an das Parlamentsgebäude rankomme, dann erweckt genau das ein merkwürdiges Gefühl, das viel realer ist, als irgendsoein potenzieller Terrorist (dessen explosiven Schuh ich mir offenbar anziehen soll).

jetzt hab ich zwei Typen mühevoll in den Nachtbus bugsiert, um festzustellen, dass sie damit nicht fahren wollten; zumindest stiegensie, nachdem sie bezahlt hatten, wieder aus.
krakelte ich wohl ebenso mühevoll in das Buch, als ich mich am 8.9.11 um 26:42 mit des Professors Aussage zur Öko-Frage beschäftigte.

Hornbrillen: Brillen haben und nicht zu tragen, ist wohl die beständigste Mode.
…das ist scharf beobachtet, was in diesem Zusammenhang schwer fallen könnte.

Unverletzlichkeit der Wohnung
(Online-)Durchsuchung
Zwangsblutentnahme
Richtervorbehalt.
…darüber sollte ich mich wohl mal ausführlicher auslassen, um herzuargumentieren, was ich schrecklich offensichtlich und für knapp ausdrückbar halte. Zum ersten Paar: ich sehe keinen Unterschied zwischen einem Ordner in meinem Schrank und auf meiner Festplatte. Nur auf richterlichen Beschluss darf das einer ansehen, dem ich es nicht freiwillig erlaube. Zum zweiten Paar: nur weil wegen Richtermangels die richterlichen Genehmigungen zur Zwangsblutentnahme bei Alkoholkontrollen meist ungeprüft richterlich angeordnet werden, ist es nicht angezeigt, den Richtervorbehalt dafür aufzuheben. Dieser Sachverhalt bietet noch einen zweiten Lösungsansatz…

Grünfink, das…
…muss ich noch zurückhalten. Solche sieht man gelegentlich kurz vor Ostern.

6.12.12 20:34 Strenggenommen geht es mich nix an, wer Herrn Wulffs Haus bezahlt hat. Strenggenommen darf Herr Wulff auch nicht in meinem Namen mit einem ausländischen Staatschef reden oder darüber befinden, ob ein Gesetz, das meine Volksvertreter gebastelt haben, verfassungskonform ist oder nicht. Strenggenommen.
Aber Herr Wulff ist Bundespräsident. Er ist mein oberster Staatsdiener, ich gebe ihm Macht, ich gebe ihm Geld und Autorität und verlange na
…ich hatte zu dem Thema lange geschwiegen, weil man ja fast täglich noch eine Abstrusität aus seiner prätentiösen Vita aufgetischt bekam und er garnicht nachkam, eine Salami nach der anderen aufzuschneiden; aber nun erhält er ja seinen Ehrensold, obwohl er aus privaten Gründen zurückgetreten ist. Ich hatte den Versuch unternommen, etwas zu schreiben, aber ich wollte nicht schon wieder Banalitäten predigen. Einmal jemanden finden, der sich nicht wichtiger nimmt als seinen Job, einmal jemanden, der aufgrund seiner Persönlichkeit politische Ehrenämter einnehmen darf und nicht als abgewetzter Parteisoldat. Und wenn schon so, dann einen, der klug genug ist, nicht so doof zu sein, dass ich vor lauter Wut nicht weiß, ob ich schreien oder kotzen soll!

Steuerpatente -> Tantieme auf Steuer
…eigentlich wäre diese Idee schon patentreif: Patente auf Steuererhebung auf potentiell besteuerbare Sachen anmelden. Die Frage ist, wenn ich ein Patent anmelde auf die zum Beispiel Besteuerung von Batterien. Muss mir dann der Staat Lizenzgebühren zahlen, sollte er im Zuge irgendwelcher ökologischen Maßnahmen eine Sondersteuer auf Batterien erheben?

Gefährdung der Freiheit von Wissenschaft und Kultur durch Orientierung rein an wirtschaftlichen Maßstäben
auch was interessantes, das ich mal weiterverfolgen sollte (es handelt sich übrigens um eine Notiz zu etwas, was ein Teilnehmer – ich glaube sogar es war der Gewinner – des letzten Philosophy-Slams im Rathaus gesagt hat), grob beispielhaft umrissen: wenn man die Förderung der Wissenschaft an wirtschaftlichen Maßstäben ausrichtet, wird man lauter naturwissenschaftliche Fächer (und auch dort nicht alle) ernten. Dies – ja jetzt schon der Fall – führt zu einer Benachteiligung geisteswissenschaftlicher Disziplinen und verschiebt mittel- bis langfristig die gesamte Kulturelle Basis der Gesellschaft. Insbesondere stellt sich auch die Frage, ob die Grundgesetzliche "Freiheit von Wissenschaft und Kultur" vor dem Hintergrund, dass sie sich finanziell unter bestehenden Rahmenbedingungen nicht selbst tragen können, eventuell sogar gebietet, diese besonders zu fördern.

Geld
Tauschwert <-> Gebrauchswert
…<-> Lagerwert. Übrigens auch noch eine Notiz aus dem Philosophy-Slam. Die leidige Geldkiste muss auch noch ein wenig angeplappert werden, bis klar ist, was jedem klar ist, der nicht die Geldwissenschaften studiert und/oder mit dem Teufel kopuliert: mit Geld kann man keinen Wert schaffen. Sollte also Geld Wert symbolisieren, darf Geld nicht mehr Geld erzeugen können. Falls dem so ist, ist das System fehlerhaft und sollte nachgebessert werden. Bei schwingenden Systemen mit großen Ausschlägen, die in resonanten Fällen zu Katastrophen führen, ist eine geeignete Dämpfung das Mittel der Wahl. Wer einem ausgelenkten Pendel zur Beruhigung einen Schubs in die andere Richtung gibt, ist ein Idiot.

Es ist, als hätten alle den Verstand verloren, sich zum Niedergang und zum Verfall verschworen, und ein Irrlicht ist ihr Leuchtfeuer geworden.
…aus Reinhard Meys Narrenschiff. Da habe ich scheinbar meinen neuen Füller getestet (den ich natürlich inzwischen verloren habe – nicht natürlich, weil ich ständig Füller verliere, sondern natürlich, weil das mein bislang teuerster war und der erste mit dem ich so richtig glücklich war), ich habs mal hier mit abgetippt, weil es so gut zum vorigen passte.

Kaugummikauen und Klavierspielen: blättern müssen, Finger lecken, Kaugummi hängenbeiben, Seite rausreißen.
…Slapstick fasziniert mich, darum muss ich solche Szenen sammeln. Auch für den Film, den wir seit der 7. Klasse drehen wollten, wo ist eigentlich das "Drehbuch" dazu, das wäre voll von solchen Sachen. Ich erinnere mich noch an den Typen, der aus unerfindlichen Gründen irgendwo runterfällt und den ganzen Film hindurch immer wieder gezeigt wird, wie er ständig weiter fällt.

Die Contemplanierraupe.
…daraus lässt sich bestimmt was machen. Einfachste Anwendung wäre in einem meiner religionskritischen Texte als Beiname für einen konservativen Geistlichen. Allerdings würde ich den Begriff gerne positiv besetzen, weil ich mir so eine Contemplanierraupe auch recht putzig vorstellen könnte.

Vielen Dank, mein liebes Buch! Vielen Dank, werter Leser!

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Ein Gespräch

14. Januar 2012 - 17:40 Uhr

Wie ist das eigentlich, fragte er den Professor, wenn so ein Flaschengeist grad keine Wünsche erfüllen muss; hat der dann frei? Geht der dann mit seinen Kumpels zum Tanzen? Und wenn er dann wieder ran muss, muss er dann alles stehen und liegen lassen in seiner Dimension und rüberhasten zum Gebieter?
Ach, weißt Du, meinte der Professor, im Grunde ist es doch ein ganz schön plattes Weltbild, das die Ökos da haben. Ein verzweifelter Festklammerversuch am status quo von Leuten, die nicht mit Veränderungen umgehen können.
Die zukünftige Welt, die sie sich vorstellen, können sie sich in ihrer eingeschränkten Phantasie nicht lebenswert machen und darum rauben sie in ihrem rücksichtslosen Egoismus künftigen Generationen die Chance, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Diese Fortschrittsfeindlichkeit zwängen sie anderen mit der anthropozentrischen Horrorvision auf, die Menschheit werde sich hungernd in völkerwandernden Kriegen gegenseitig zermürben, bis sie sich ihrer klimatischen Lebensbedingungen selbst entledigt und so den Exitus des Homo Sapiens besiegelt haben würden.
Wer der Ökoideologie nicht folgt, wird nicht mit argumentativen Überzeugungsansätzen bedacht, sondern aus einer arrogant pseudoaristokratischen Position heraus zum teuflischen Weltzerstörer herabgestuft.
Und das nur, weil man – wohlgemerkt dem evolutionären Plan folgend – auch umsetzt, was möglich ist.
Wer gibt denen denn das Recht, sich als was besseres zu gerieren, nur weil sie meinen, die geistige Rafinesse zu besitzen, auf wissenschaftlicher Logik basierende Hypothesen über weit in der Zukunft liegende Ereignisse anzustellen, und die charakterliche Größe, diese in ethische Handlungsvorgaben umzusetzen, deren eventuell so verhinderte Konsequenzen sie sowieso erst nach ihrem statistischen Ableben zu spüren bekämen!?
Wo kommt denn bitte der ganze Wohlstand her, in dem sie sich selbstgerecht fortschrittsasketisch hinstellen und einen selbst aungebauten vegetarischen Braten in einem Solaröflein backen, mit dem sie den Hunger in der dritten Welt stillen wollen?
Sie haben sich lediglich dazu entschlossen, ihr Leben in einer unglaublich unpraktischen Weise führen zu wollen, meinetwegen, aber sie können nicht von mir verlangen, mich genauso dumm zu verhalten.
Wenn man freiwillig auf alles verzichtet, was das Leben angenehmer macht, nimmt sich das alles halt einfach jemand anders.
Erstaunlich, zugegeben, wenn man es trotzdem durchhält, abstrakt-irreale Lebensbedingungen anderer zur Grundlage für moralisches Handeln und daraus folgenden Selbstverzicht zu machen.
Es ist aber doch kein Konzept, lediglich auf Verdacht allem zu entsagen, was möglicherweise irgendwelchen hehren Idealen widersprechen könnte – und das auch noch in einer so fernen Zukunft, dass dies alles per se nicht verifizierbar ist.
Das ganze mag unter diesen konstruierten Bedingungen zwar gut und richtig scheinen, die eigentliche Frage ist aber: wie weit ist man verpflichtet vorauszudenken, um seine Handlungen moralisch zu begründen und wie pessimistisch muss man seine Annahmen anlegen.
Es ist nämlich gerade der Optimist, der sich eine so freie Geisteshaltung bewahrt, dass sein Machbarkeitsglauben im Endeffekt Auswege aus der Misere aufzeigen könnte. Der Pessimist hingegen verharrt in seiner Starre und vorgefertigten überkommenen Denkmustern und landet – da er den Fortgang der Welt dennoch nicht stoppen kann – so in seiner selbstgestellten Falle.
Öko oder nicht – ich weiß, auf welcher Seite ich stehen will!

Am 8.1.12 auf Bank der Künste veröffentlicht.

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Wahrnehmungsschwellen

12. Januar 2012 - 20:02 Uhr

4.12.11 22:15 Wahrnehmungsschwellen gibt es ja viele. Für Musik sind es mal mindestens zwei: zum einen die organische.
Ist Musik zu leise ̣– zum Beispiel weil sie zu weit entfernt ist oder weil man eine Mütze trägt, während man in einem Atombunker einem Freiluftkonzert lauscht –, so 6.12. 20:17 ist möglicherweise der auf dem Trommelfell auftreffende Schalldruck zu gering, als dass er vom sensorischen Hintergrundrauschen unterschiecden werden kann und der interpretierende Cortex im Gehirn antwortet – von seinem Standpunkt aus zurecht – mit Stille, die man dann hört. Wahrnehmung ist also Illusion.
Nicht auf Illusion basiert allerdings die zweite Schwlle der Musikwahrnehmung: die intellektuelle.
Ist die absolut objektiv messbare geistige Disposition für das Verständnis von Musik auf eine Ebene festgelegt, die von der auftreffenden Musik überschritten 21:49 wird, so wird der Rezipient nur über “Geräusch” informiert werden. Dies ist ein vergleichbarer Fall mit dem umgekehrten Atombunkerhören, wenn man immernoch im Atombunker sitzt, diesmal aber eine Band in der Mütze hat und einem aus Platzmangel eine der Trompeten direkt ins Ohr föhnt. Auch hier wird einen das Geräusch dermaßen überfordern, die 11.12. 15:33 Intensität aus dem Meßbereich herausklirren, dass man auch nur auf schmerzhafte Weise von einem nichtmal mehr näher zu bestimmenden Geräusch Kenntnis erhält.
Ein ähnlicher Schmerz tritt lustigerweise auch beim Unterschreiten einer bestimmten Wahrnehmungsschwelle auf, nämlich der unteren intellektuellen, wenn der Geist sich Phantombeine ausreißt, um Geräusche, die sich 2.1.11 [gemeint ist ’12] 25:46 Belgrad nachdrücklich als Musik bezeichnen oder von dritten so behandelt werden, auch eigenständig als Musik identifizieren zu können und anschließend feststellt, dass es dafür keinerlei Anhaltspunkte gibt.
Nun wird man vom Wahrnehmungszentrum allerdings nicht über “Stille” informiert, da die organische Hörschwelle ja überschritten wird. Dies ist umso mehr der Fall, als das Unterschreiten der intellektuellen Wahrnehmungsschwelle für Musik in signifikanter Weise ganz unstillig mit dem Überschreiten der organischen Pegelschmerzgrenze einher geht.
Während die organischen Schwellen, so sie sich verschieben, eher das Wahrnehmungsband verschmälern, kann die intellektuelle Wahrnehmung durch gezieltes Übersteuern (was im anderen Falle tunlichst zu vermeiden ist) ausgedehnt werden. Auch gelegentliches aufmerksames Untersteuern führt bisweilen zum Abbau der Berührungsvorbehalte und in manchen Fällen zu einer strukturellen Anreicherung des Interpretationsumfangs im Wahrnehmungskortex.

Am 6.1.12 auf der Bank der Künste veröffentlicht. Die Seite ist im übrigen uneingeschränkt empfehlenswert.

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Was Sie über Mais wissen sollten

2. Dezember 2011 - 20:32 Uhr

17.11.11 19:35 Mais, die polentaspendenden gelben Körnchen, deren vielseitig verwendbares Mehl universellen Einsatz in der Nahrungsmittelindustrie gefunden hat und spätestens als Grundgerüst für die aufplusterndcrunchigen Erdnuss-Locken seine für Peanuts aromatisierte Allgegenwart bei geselligen Anlässen gefunden hat, wohingegen jene als Sauerkonserve bei selbigen die unauslöschliche Diskussion, ob sie nun unverzichtbarer, fakultativer oder absolut abstoßender Bestandteil des aus mindestens zwei Konserven zusammengestelten Chilis nach Art des Hauses sind, stammt bekanntlich aus Südamerika.
22.11.11 09:38 digital, reanalog, verändert 25.11. 20:45 Es geht das Gerücht, ein indigener Gott – natürlich, sie hören lieber Überwesen mit historisch-lokaler Gotteskraft – habe ihn geschaffen, indem er eine goldene Träne in den Mutterboden fallen ließ, aus der sich der für seine Völker segensreiche güldene Lebensspender erhob. Eigentlich ein klasse Vorgang, diese Nuggetbaumpflanzung, lediglich den Alchimisten der alten Welt offenbar nicht bekannt gewesen, das Wissen um diese Technik hätte wohl mannigfach Verbrennungen, Verätzungen und Schwermetallvergiftungen unter den Anhängern dieser Zunft verhindert.
Nunja, letztendlich wären sie ja doch unzufrieden gewesen, dass zwar auf diese Weise wertvolles geschaffen wird, Nahrung, Rohstoff, Perspektive, aber eben garnienicht Edelmetall. Dass dieser Dritte-Welt-Zeus zwar silberblickend Gold über die Wangen kullern lassen kann, dieses aber, anstatt es zu horten, sich damit zu schmücken und eventuell mal gelegentlich als dekadent-wirkungsloses Nahrungsergänzungsmittel durch die Gedärme zu schieben, in ein Sozialprojekt verbuddelt, hätte sie auch zum Heulen gebracht – nur eben Rotz und Wasser.
Nun, so schlimm ist es dann doch nicht gekommen, da die Hersteller nahrungsmittelähnlicher Industrieprodukte gewissenhaft die Technik zu optimieren begannen, das zu wertlose Nahrungsmittel durch das richtige Maß an Denaturierung und behutsam-luftreiche Verpackung wieder zu Gold zu verwandeln. Immerhin ein ausgefeilterer Ansatz, als der der Zelloloidbeleuchter, lediglich die traditionelle Kombination von schlicht mittels Erhitzung zauberhaft entstellter getrockneter Maiskörnchen mit bewegten Bildern durch unverhältnismäßige Aufpreisung zu versilbern.
29.11.11.19:33 Bei dieser vielfältigen und verbreiteten Verwendung erwundert es doch sehr, daass eine zentrale Eigenschaft des Maises, die ihn zu einer der erstaunlichsten Geschöpfe in der Natur macht, nicht ausgenutzt, ja nichtmal außerhalb von Fachkreisen bekannt ist: seine Zweisämigkeit.
Dieser Begriff (lateinisch bisemilitas oder als latinisiertes Adjektiv bisem) bezeichnet Pflanzen, deren Reproduktionsmechanismus unabhängig 23:41 von den üblichen Mutationsabweichungen zwischen den Bestäubungsvariationen zwei unterschiedliche Samenkornchargen mit grundlegen verschiedenen Bauplänen bereithalten – natürlich bei gleicher genetischer Ausstattung.
Studien weisen darauf hin, dass diese Versionen über epigenetische Mechanismen, also über zweierlei Sätze an Genschalterstellungen, nicht aber an Genen, 1.12.11 9:30 realisiert wird.
Beim Mais wird die zweite Samenvarietät an einem besonderen Ort ausgebildet: in der Mitte des Strunkes entwickelt sich auf etwa halber Höhe im Maiskolben ein kleines schwarzes Körnchen, das von seinem Aussehen her viel mehr an einen Schwarzkümmelsamen denn an ein Maiskorn erinnert.
Pflanzt man dieses an, wächst daraus mit der zweiten Varietät eine Art süßer Nährmais. Die Wuchshöhe ist verglichen mit dem normalen Stärkemais etwas geringer, bezüglich der Wuchsform sind allerdings keine Unterschiede erkennbar. Auch die Frucht gleicht in der Form der bekannten, unterscheidet sich aber näher betrachtet sehr stark:
Angefangen bei den Hüllblättern sind diese sehr viel feiner und nicht faserig, so dass ihre frischen Spitzen als aromatische Salatbeigabe Verwendung finden können. Die gelben Körner sind ein bisschen kleiner als die der Normalform, aber deutlich süßer.
Überraschend bei dieser Varietät ist nun, dass der Kolben selbst mit einem recht süßen Fruchtfleich gefüllt ist, das in der Konsistenz an leicht unreife Bananen erinnert. Der Geschmack des Maisfleisches trägt ein Maisaroma, das gleichzeitig in seiner fruchtigen Süße an Birne erinnert.
Der Maiskolben aus dem schwarzen Mittelkorn lässt sich also nach dem Entfernen der gelben Hüllkörner noch schälen – zugegeben, nicht so komfortabel wie Bananen, deren Fasern in der Schale hauptsächlich längs verlaufen, wohingegen die Maisfasern ein robusteres Überkreuz-Geflecht bilden. Im Inneren findet sich dann volumenmäßig noch mal ähnlich viel Fruchtfleisch wie die Hüllkörner zusammen liefern. Und dieses birgt nur das eine schwarze Samenkorn.
Stellt sich die Frage, warum diese Fleischmaisvarietät nicht häufiger verwendet wird, sondern vielmehr total in Vergessenheit geraten zu sein scheint.
2.12.11 19:55 digital Das Problem liegt in der Beschaffenheit des Marktes. Obwohl viele Züchter, Bauern, Händler und auch die Nahrungsmittel verarbeitende Inustrie im Prinzip von dieser Varietät wissen, passt sie nicht in das Standardisierungskonzept bezüglich Verwertung, Vermarktung und Logistik.
Mais hat eben Mais zu sein und wird zum größten Anteil als getrocknetes Korn verkauft und verarbeitet, im Energiesektor dienen komplette Pflanzen als Biomasselieferant. Und nur zum geringsten Anteil gelangen die Kolben in den Verkauf und werden dann meist von Steakhausgästen oder Sommergrillern abgeknabbert.
Hierfür gibt es Strukturen, Maschinen, Abläufe. Nicht aber für den Fleischmais, der sich ob seines hohen Zuckergehalts eher Obstmais nennen sollte. Die markthemmenden Probleme beginnen schon bei der landwirtschaftlichen Produktion:
Noch gibt es keine Maschinen, die die Arbeit übernehmen, das schwarze Korn aus dem Strunk zu gewinnen, was einsehbarerweise aufwendiger ist, als das Abstreifen der Hüllkörner. Noch dazu ist die Ausbeite extrem gering, da ja nur ein Korn pro Maiskolben herausspringt.
Die kleinen Körnchen mit ihrem winzigen Mehlkörper und damit vergleichsweise kleinen Energiereservoir sind in ihrem Keimungsverhalten weniger robust, wodurch der Keimlingsertrag pro Aussaatmenge geringer ist als bei der herkömmlichen Sorte.
Und schließlich widersetzt sich der Mais auch noch dem Verteilungskonzept, da er durch seinen hohen Zuckergehalt gleichzeitig auch eine mit Obst vergleichbare Verderblichkeitsgeschwindigkeit hat, wodurch auch anschließend an die erschwerte Saatgutgewinnung und Aufzucht eine zeitnahe Vermarktung notwendig wäre.
Diesen Kampf gegen die Marktbedingungen haben in der Vergangenheit schon diverse traditionelle Lebensmittel verloren und so scheuen natürlich alle Beteiligten das Risiko, in dieses Randprodukt bzw. Strukturen für dessen Vermarktung zu investieren, zumal unbekanntes sowieso gerade im Ernährungssektor nicht leicht zu lancieren ist.
So wird der Fruchtfleischmais aus dem schwarzen Mittelkorn, der den Ureinwohnern Mittel- und Südamerikas willkommene Abwechslung und gleichzeitig zuverlässiger Nahrungsspender war, wohl weiterhin nur in Randnotizen von Fachzeitschriften Verbreitung finden, bis er vielleicht eines Tages den Sprung über ein kurzlebiges Modelebensmittel zurück zu den natürlichen Ernährern ganzer Generationen schafft.

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Zitat des Zeitpunkts “Ausschlusskriterium”

8. August 2011 - 12:09 Uhr

Per Versammlungsentschluss beschloss der Ausschuss abschließend, ausschließlich Schlüsse aus Einschlüssen an Aufschlüssen einzubeziehen; diese sind auch verschlossenen Geographen anschließend noch erschließbar.
Auf Anregung von und für meine(m) lieben Kollegen

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Karwochenspecial, Weltwärts

17. Juli 2011 - 02:15 Uhr

Es machten sich also auf: der Lotse, der Navigator und der Reisende. Und dabei ist es niemals ernsthaft eine Frage, ob nun eine Reise stattfindet. Jedoch ist es auch immer so, dass, wenn der Reisende nun nicht fährt, die Reise nicht stattfindet. Nunja, die Reise fand statt, also stimmte auch die Chemie zwischen Reisendem, Lotsen und Navigator, das Vertrauen war vorhanden.
Letzteres war beileibe auch Notwendigkeit, denn man hatte sich nichts einfaches vorgenommen. Die Reise sollte bis zu dem Ort führen, wo sie gestartet hatte. Und das rechtfertigte den ganzen betriebenen Aufwand.
Beim Reisevehikel handelte es sich um eine Art Fahrrad, das man sowohl mit seinen Füßen als auch mit der Kraft seiner Gedanken umtreiben und steuern konnte und das am meisten Fahrt aufnahm, wenn es direkt auf die Sonne zusteuerte.
Der Navigator hatte den Kurs aufs genaueste berechnet, der möglichst präzise nirgendwo hinführen würde und war bereit, jederzeit eine tiefgreifende Kurskorrektur vorzunehmen, sollte das Reiseziel das verlangen.
Des Lotsen Tätigkeit ist weisen und leiten. Hin auf Besonderheiten, herum um Gefahren; er kennt und fühlt sie, wähnt sie kommen. Tiefe benötigt seine Kenntnis, wendige Erfahrung seine Intuition, Behutsamkeit sein Handeln.
Nun zum Reisenden. Wiewohl er sich nach reiflicher Überlegung eigentlich vollends dem Wirken von Lotse und Navigator verschreibt, ist ja doch er der eigentliche Meister der Reise, seiner Reise. Er wird stets die Entscheidungen für seine Reise treffen, die Leitung durch Lotse und Navigator besteht, solange sie besteht und endet, wenn sie endet.
Doch was heißt hier endet, nun sollte die Reise erstmal beginnen. Der Reisende schwang sich auf sein Vehikel und war gespannt, wo ihn die Fahrt hinbringen würde, und das obwohl das Ziel von ihm gewählt und dessen Lage ihm bekannt waren.
Es war spannend, auf Reisen zu sein, denn so sehr er sich auch klargemacht hatte, auf Reisen sein zu werden, verrückte diese Entrückung dennoch die Wahrnehmung, was das Bewutsein erstmals zur Bestätigung zwang, tatsächlich auf Reisen zu sein. Man verändert sich mit der Landschaft, die man bereist, und wenn man diesen Zusammenhang akzeptiert hat, verändert sich die Landschaft mit einem selbst.
Die Reise führte in kleine und große Entfernungen, in denen man stets große und kleine Entdeckungen machen konnte; das größte Vergnügen bereitete dem Reisenden, Dinge zu entdecken, die er schon kannte. Denn obwohl er sie schon zu kennen glaubte, waren sie doch grundlegend anders. Sie waren nämlich genau so wie sie waren und wie er sie schon kannte, denn so mussten sie ja schließlich sein.
Nachdem er sich nun Ferne und Nähe angesehen hatte und feststellen musste, dass sie beide gleich weit voneinander und von ihm entfernt waren, stellte er fest, dass es niemals möglich wäre, alle Dinge in der Welt ständig neu zu erkennen und wieder neu kennenzulernen.
Ein Zeitproblem wäre es freilich nicht, denn die Zeit hatte er vorsorglich bereits angehalten, so musste er sich nicht ständig um deren Fortgang sorgen. Ernsthaft nötig wäre es zwar wohl auch nicht gewesen, alle Dinge in der Welt zu kennen, denn wenn es nicht möglich war, wie sollte es dann nötig sein?
Aber es amüsierte ihn. Die schiere Ziellosigkeit seiner Beschäftiung mit den Dingen bereitete Vergnügen.
Das Vehikel bewegte sich derweil immer weiter. Mit zunehmender Geschwindigkeit führte der Kurs des Navigators es wie an einer Perlenschnur geradewegs in Richtung Universum. Diese starre Bewegung brachte den Reisenden der Lösung seines nicht vorhandenen Problems näher: wenn er die Schöpfung in ihren Teilen nicht begreifen konnte, so wollte er sie einfach neu erfinden.
Der Lotse freute sich, dass die Fahrt den Reisenden in Bewegung versetzt zu haben schien. Er nickte dem Navigator zu, dieser lächelte zurück und leitete den finalen Schwenk ein, den die Reise nun verlangte: direkt auf die Sonne zu.
Der Reisende erkannte seine Chance: er breitete die Arme aus, öffnete den Mund zu einem einzigen Rachen, verschluckte die Sonne, und verwandelte sich in einen leuchtenden Vertilger von allem was war, was ist, was gewesen wäre, dessen seidig glänzende Haut von feurig pulsierenden Adern durchzogen war. Eine wahnsinnige Energie war es, die mit ihm eins wurde oder mit der er eins wurde; er war eins, er war alles.
Nun ist es ja so, dass alles eben nicht genug ist, wenn es nur eins ist. Also, um nicht unpräzise zu sein: es war mehr als genug, es war ja schließlich alles. Jedenfalls – nun im Wissen, alles selbst zu sein – entschied sich der Reisende, eine Schöpfung zu machen. Zuerst schöpfte er Papier und eine Tintenfeder.
Und so wie die Tinte, die er in plastischen Hügelzügen über das Papier verteilte von diesem zu flachen, beständigen Linien aufgesogen wurde, so verfestigten sich in ihm die Gedanken und Überzeugungen, wie seine Schöpfung aussehen sollte. Er gab sich damit durchaus Mühe, denn nichts zu tun ist durchaus gut und sinnvoll, zumindest ebenso sinnvoll wie irgendetwas, aber für den Anspruch, den man an sich selbst stellt, muss man durchaus etwas tun.
So hub der glühende Vertilger also an zu schöpfen und erschuf aus einem meisterlichen Gewebe von Energiebahnen, dessen zufällig wirkende Verbindungen Materie erzeugen, die Welt, die er mit allem was gewesen war, was war und was gewesen sein würde verschlungen hatte. Sie war viel besser als vorher, denn sie war so wie immer.
Nun befand er sich also wieder in der Gesellschaft von Lotse und Navigator am Ende seiner unglaublich langen Reise am Ort wo sie gestartet waren, erschöpft und zufrieden und stieß genüsslich die Zeit wieder an.
Eine Spinne springt vorbei: “Befreie Dich vom Anspruch!”

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15. Juli 2011 - 15:28 Uhr

24.4.11 3:34 Ostersonntag Was interessantes gelesen, weil ich ausversehen eine Stunde zu früh aufgestanden bin: der Verlust der Benimmregeln rühre möglicherweise daher, dass für die Mittelschicht nicht länger die Orientierung nach oben richtung Adel entscheidender Faktor ist, sondern inzwischen das Proletariat psoudoikonisch in den medialen Mittlepunkt gerückt sei. Außerdem sei die Umgangslockerheit eine Hinterlassenschaft der 68er-Bewegung.
18:27 Nicht Benimmregeln zu folgen sei einfach einfacher – aber nur für einen selbst. Seinen Stuhl nicht anzustellen spart arbeit, denn es macht ja jemand anders. Trotzdem sei die Autorin nicht für eine Wiederbelebung der Regeln, findet es eher amüsant, diese Eigennützigkeit mitanzusehen. Ich sehe das etwas anders.
Viele Regeln sind sinnloser Mist, aber einige sind wie die oben skizzierte eben schon sinnvoll einzusetzen und verteilen Arbeit, Ärgernis oder Unliebsames etwas gleicher unter allen Beteiligten. Um diese ist es ein bisschen schade manchmal; der Rest kann gern in die Tonne – wobei ich zugeben muss, manchmal erst viel später einen Sinn bzw. den Sinn doch erkannt zu haben.
Es gibt aber doch noch eine Kleinigkeit zu bemerken über aussterbende Benimmregeln: verwendet man sie doch – man hat es natürlich dadurch oft schwerer oder unpraktischer – gelingt es einem bisweilen, unterschwellig einen positiven Grundeindruck zu hinterlassen, da man anderen eben unkomplizierter oder ähnliches vorkommt, bzw. eben quasi vor den Ecken und Kanten der anderen quasi unsichtbar erscheint.
Gut, leicht ist es auch, sich für jemanden abzuheben, der der eh auf sowas achtet, aber das war eben nicht gemeint, es geht um unbewusste Effekte.
Allerdings gibt es da leider noch einen: man kann oftmals ungewollt zu bestimmt, verbindlich oder unentspannt wirken, vor allem, wenn man den Fehler begeht, von anderen ähnliches zu erwarten.
Erwarte nicht, tue trotzdem, es läuft einfach immer wieder aufs gleiche hinaus. So ist das nunmal. Der Quellcode der Welt scheint halt doch immer wieder überall durch.

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Zitat des Zeitpunkts “Konsequenz” oder “Unflexibilität”

3. Dezember 2010 - 21:47 Uhr

Die Tatsache, dass es einen Plan B gibt, ist noch lange kein Grund, nicht auf Plan A zu beharren.
alter ego

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Listenstatik III

2. Dezember 2010 - 21:47 Uhr

18.11.10 19:19 Listenstatik # Ich weiß nicht mehr genau, was ich beim letzten mal hierzu geschrieben habe, noch, was ich mir gerstern im Halbdämmer ausgedacht habe, aber ich versuchs mal:
Der Gag ist folgender: die Erststimme muss von der Parteilichkeit getrennt werden und – wie vielleicht eh zur Wahlrechtsreform – wirklich die Hälfte der Sitze füllen.
Wer sich zur Erststimme stellt, darf nicht auf einer Liste stehen, er stellt sich auf Gedeih und Verderb der wahlkreisinternen Mehrheitswahl und fliegt raus, so er auch nur eine Stimme zu wenig bekommt. Ich habe zwar grundsätzlich nichts gegen Stichwahlen, erkenne aber in diesem Zusammenhang keinen Sinn dahinter, außer viel mehr Aufwand.
Irgendwie würde ich ja noch gerne meine “Liste der Versprengten” unterbringen, aber es gibt ja auch keinen gesteigerten Sinn, die Sitze zu dritteln wegen der potentiellen Möglichkeit, dass einige Unbequeme gechasst werden. Ich würde dementsprechend gerne alle Abgeordneten der letzten Wahlperiode zur namentlichen Wahl stellen, aber das geht nicht kombiniert mit der Erststimme, weil die eine Regionalwahl ist.
24:50 Es is ein bisschen doof, alle auf den Wahlzettel zu schreiben, macht’s etwas unübersichtlich. Möglicherweise könnte man auch, statt auf Bundesliste zu setzen, wahlweise einenNamen auf den Wahlzettel schreiben, wie bei der Kommunalwahl. Naja, die Gechassten-Frage wäre noch zu klären.
Aber die Direktwahl von der Liste vollständig zu trennen, würde dem ganzen mehr Würze verleihen. Und die damit geschaffene ausdrückliche Regionalität würde die Bundesliste rechtfertigen – falls diese überhaupt noch einer Berechtigung bedürfte!
Dann wäre an sich nur noch sicherzustellen, dass der Weg auf die Direktwahlliste sehr niedrigschwellig ist. Eine Parteigründung ist eindeutig zu viel.
28.11.10 22:16 Eigentlich müsste man es schon riskieren, jeden zu nehmen, der sich meldet und Staatsbürger ist, auch wenn es viele werden könnten, denn momentan fällt mir auch keine bessere Auswahlmethode ein, oder vertretbare Hürde, um Scherzbolde abzuhalten.
Einzig nochmal nachdenken müsste man darüber, ob mehrere Wahlkreise – nein, ich denke, das passt. Ich hab nämlich Kreise und bezirke durcheinandergebracht.

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