GEZielte Informationsverweigerung

Ich las heute im Spiegel. Dass die ARD-Chefredakteurs-Konferenz beschlossen hat, sie werden keine Porträts der Kandidaten fürs Bundespräsidentenamt, Schwan und Köhler, vielleicht auch diesem Tatortmenschen, senden. Irgendwie sei diese Wahl zu uninteressant, außerdem nicht so entscheidend, weil der Bürger da ja nicht zu entscheiden hat.
Lustigerweise habe ich einige momente gezögert, bis ich mich aufgeregt hab (ja, das hab ich, sonst säße ich jetzt nicht hier beim schreiben). Ich hab nämlich die Implikation erst nicht verstanden, schon garnicht während der ersten Sätze. Ich hab mich gefragt, warum man überhaupt meldet, dass jemand kein Personenporträt bringt.
Dann hab ich mir gedacht, klar, mein altes Pferd, es geht um die Wahl, diese schreckliche Legitimationslücke (gut, die ist hier nicht so machtintensiv, höchstens vielleicht demnächst in der Krise, ansonsten ideell) und das Ämtergeschacher und Parteibonzenaltenteil.
Plötzlich hab ichs dann doch kapiert. Diesmal gehts um die Medien. Wenn wichtige Sachen passieren und keinen interessierts, sind die Sachen nicht wichtig. Oder andersrum, die öffentlich-rechtlichen haben kein Interesse an ihrem politischen Bildungsauftrag. Diese Wahl, wohlgemerkt, der Gewählte ist so wichtig, der hat nichtmal einen Buchstaben auf seinem Nummernschild (ich weiß nicht mehr, entweder 1-1 oder 0-1, cooles Teil!), über die keiner was genaues weiß, wird genau dadurch aus dem journalistischen Fokus gerückt; der Umkehrschluss ist noch toller, denn eine absolute Spitzenmeldung zeichnet sich dann logischerweise dadurch aus, dass jeder schon davon weiß.
Um doch auch noch Systemkritisch zu werden (ich versuche, den Absatz kurz zu halten, außerdem brauche ich das für den nächsten Schluß), würde sich die Frage zu stellen anbieten, ob das öffentliche Desinteresse an der Bundespräsidentenwahl genau aus oben genannten Mißständen bezüglich Volksbeteiligung und Sach- gegen Proporzentscheidung herrührt.
In diesem Zusammenhang tritt dann logischerweise deutlicher zutage, dass es auch den kritischen Journalismus offenbar nicht mehr gibt. Denn wenn sich der Bürger schon nicht für die Personalfragen rund um die Wahl und die in diesem Zusammenhang verkauften Pseudoideologien interessiert (ich kanns ihm nachsehen!), so könnte er sich vielleicht dafür begeistern, dass in diesem Zusammenhang mal näher erläutert wird, warum wer in die Bundesversammlung kommt, wer wen wie für was belohnt, wie genau das geheime Wahlergebnis vorherzusagen ist.
Vielleicht fände er es auch ganz nett, wenn mal ein Journalist einen fragen würde, warum die Parteizugehörigkeit des überparteilichen Präsidenten wichtig ist, warum der Bayrische Ministerpräsident Bundesminister kürt, wofür Fraktionszwang gut ist, warum die Föderalismusreform wieder mal das Gegenteil von dem Bewirkt hat, was Konsens ihrer Begründung war, oder ähnliches. Es ist Journalisten nicht verboten, sich mit einer bestimmten Materie auszukennen, notfalls auch mehr als der Befragte, es ist wohl auch nicht verboten, logische Fehler in Antworten in Echtzeit zu entdecken und unter Hinweis darauf die Frage zu wiederholen. Aber man sieht immer häufiger (vielleicht werde ich diesbezüglich auch nur aufmerksamer), dass – egal, wie das Prozedere von außen aussieht – den Politikern lediglich eine Platform gestellt wird, auf der sie ihre Thesen verbreiten können, mehr nicht. Dabei ist es dann tatsächlich gleichgültig, ob man eine Pressemitteilung zitiert oder beim Interview eine Frage stellt, die die Pressemitteilung abruft. Kritischer Journalismus bedeutet nicht, Fragen zu stellen, auf die man keine Antwort kriegt oder eine, die nicht passt. Es bedeutet vor allem, solche Antworten als solche kenntlich zu machen, samt dem Verursacher.
Nun ist hoffentlich trotzdem noch ein wenig vom eigentlichen Thema im Arbeitsspeicher, denn mir ist dann noch eine ganz einfache Deutung der Meldung gekommen: Es ging nicht um den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, auch nicht um journalistische Tugenden, nicht um staatliche Konzeptkritik oder Filzgeißelung, es ging um die ARD. Genauer um die Senderchefs.
Ganz klar, das sind größtenteils Typen mit irgendeiner Gesinnungscolorierung. Dann gibt es da auch eine Mehrheitssituation. Nehmen wir an, das wären also schwarze. Dann ist das das kleine Einmaleins.
Jeder kennt, viele mögen Köhler. Keiner kennt Schwan, nichtmal SPD weiß, ob sie sie mag. Wir sprechen über keinen: Köhler bleibt Präsident.
Das nenn ich eine geheime Wahl!

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