Attentäter

Ich glaube, ich werde keinen Amoklauf begehen. Einfach, weil ichs noch nicht kapiert habe.
Ich habe sehr wohl kapiert, dass man sich darauf recht gut vorbereiten muss und den richtigen Moment abpassen. Das ist quasi sowas wie klavierspielen. Alles muss eben stimmen. Mir ist auch klar, dass diese gewisse Art der Planung eine richtig komplexe Aufgabe ist und man also viel Fleiß investieren muss und sowohl das theoretische lösen der Einzelprobleme schrittweise und dann auch die Fertigstellung des Plans durchaus geeignet sind, eine Menge Endorphine auszuschütten, also sehr befriedigend sind. Ja, das hab ich alles kapiert.
Geil ist sicher auch dieses unbeschreiblich intensive Gefühl von Macht, die aus der absoluten Überlegenheit resultiert, gemischt mit den Unmengen an Adrenalin, die das verbleibende Restrisiko einem ständig bereitstellt bzw. die Konzentration, die einem abgenötigt wird, um optimal im Plansoll zu bleiben.
Aber ich habs einfach noch nicht verstanden. Ist das ein Lebenswerk? Es ist eine beträchtliche Leistung, aber sie ist ja gezwungenermaßen die letzte. Das ist einem dann auch klar, man kann nicht die Fähigkeit besitzen, so planvoll und hochkonzentriert zu agieren und dann der irrigen Annahme verfallen, man käme glimpflich davon. Das passt nicht zusammen. Es ist einem also klar.
Gut, dass man nicht unbedingt dem Gedanken anhängig sein muss, dass es nicht richtig ist, andere zu töten, sehe ich noch ein. Er ist durchaus schwer zu begründen, ich bin selber nicht sicher, ob ich damit schon fertig bin. Die meisten Erklärungen basieren auf höheren Prinzipien, die man nicht anerkennen muss, oder auf dem logischen ringschluss, dass, wenn man selber nicht getötet werden will, auch nicht töten darf. Eine Hand tötet die andere nicht. Und – entschuldigung – darüber ist der Kandidat, wie wir oben bemerkt haben, schon hinaus.
Er muss also entweder sterben wollen oder sein Leben nicht wertschätzen. Wenn er sich mit seinem Willen zu sterben wiederum auf ein höheres Prinzip beruft, wird es schwer, was dran zu ändern. Wobei die Notwendigkeit, sich für ein höheres Prinzip zu opfern meistens aus einer Unzufriedenheit mit den Gegebenheiten heraus entsteht. Häufige Gründe waren in der Vergangenheit die Verteidigung der eigenen Freiheit, der Schutz vor Einmischung fremder in den Weg zum eigenen Seelenheil, die Beendigung einer Herrschaft, die mit den eigenen ethischen Anschauungen in krassem Mißverhältnis steht.
Damit werden sich die beiden Gründe schon etwas ähnlicher. Um die Anzahl der Amokläufe wirklich auf die Zahl derer zu reduzieren, die aufgrund starker chemischer oder gar mechanischer beeinträchtigung des Geisteszentrums des Attentäters beruhen, ist es also geboten, Mißstände zu beseitigen, die den Unmut einzelner hervorrufen, außerdem ist dafür zu sorgen, dass das Leben für möglichst alle einen Wert bekommt. Ich betone, um mich nicht in wirtschaftspolitische Debatten verstricken müssen, dass diese Wert ideeller Natur ist. Und es liegt zwar in der gesamten Gesellschaft, aber auch im Bildungssystem, möglichst individuell jedem zu ermöglichen, Wege zu finden, die einem einen Wert in sich selbst vermitteln, und so möglicherweise glücklich zu werden.
Ich bin echt überrascht, das es sich im Laufe des Artikels alles als so einfach erwiesen hat. Ich hatte mir zu Beginn die Materie und die Beweggründe deutlich komplizierter vorgestellt.
Worüber ich nicht überrascht bin ist, dass ich mich zu diesem Nachsatz genötigt fühle:
Lieber Herr Staatsminister des Innern, sind Sie der Meinung, dass ein Verbot von den bösen Ballerspielen den einzelnen glücklicher macht oder fordern Sie das, weil Sie denken, dass Sie dadurch erreichen, nicht den Unmut einzelner hervorzurufen, die die ziellose Einschränkung persönlicher Freiheiten durch den Staat als bedenkliche Fehlentwicklung ansehen.
Sie haben sicher Recht, denn wie alle anderen bösen Sachen, sind auch Gewaltspiele am besten in dem Teil des Marktes aufgehoben, wo besonders viel Wert auf Jugendschutz gelegt wird.

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