Wahlgesetz

Die Regierung, die – zugegeben, wie jede andere auch – eine Steuervereinfachung anstrebt (lustigerweise diese auch von einem ihrer ehemaligen Wahlkampfzugpferde auf dem Silbertablett präsentiert bekommt), diese dann – mein persönlicher Zukunftstip; falls jemand Interesse hat, ich würde hierauf große Summen wetten – nichtmal ansatzweise umsetzen wird, muss sich, da sie verbrieftermaßen illegal gewählt wurde, um ein neues Wahlrecht kümmern. Das ja schon ein guter Anfang für einen Treppenwitz, ist die nächste Stufe: sie bringt kurz vor Ablauf der Frist (wohlgemerkt der Frist zur Abgabe des gesetzgebungsmäßig abgeschlossenen, geprüften und konsensuierten Gesetzes) einen GesetzesANTRAG in die Nickmühle (gemeint ist der Deutsche Bundestag; Anmerkung des redigierenden Autors) ein, der offenbar eine Verschlimmerung der Verhältnisse nach sich zöge. Zuletzt also gewählt: Miss Verhältnisse.
Ich bitte darum, den letzten Satz noch zweimal zu denken, ich finde es lohnt sich. Gut, es war ein Satzfragment, ich sah mich nicht imstande, die Numerusthematik eleganter mit der Sachthematik zu verknüpfen. Mea Culpa?
Nein. Denn es hätte ja nicht so sein müssen. Mir muss erst noch einer erklären, warum ich dafür verantwortlich sein soll, dass ein weiteres Mal schlicht handwerklich schlecht gearbeitet wird in der Gesetzgebung. Und das ist noch gnädig. Andernfalls müsste man Vorsatz unterstellen, denn von den inzwischen eben verfassungsrechtlich admonierten Überhangmandaten profitieren ja momentan überwiegend – Überraschung! – Unionspolitiker.
Wie? Ein weiteres Mal handwerklich schlecht? Ich erinnere nur noch einmal an die Grandiosität, dass die Idioten bei einer der regelmäßigen Modernisierungsrunden des Straßenverkehrsrechts (es mussten mal wieder neue Designs für die Schilder her) in der Eile – sowas muss ja schließlich wahnsinnig schnell gehen – vergessen hatten zu erwähnen, dass die alten natürlich auch noch gelten. Daraufhin konnten Parksünder im Knöllchenfalle gegen die Gemeinde klagen, wenn sie vor einem Parkverbotsschild mit der herzförmigen Pfeilspitze campierten, und bekamen recht. Bis man, während man überlegte, wie man das aus der Welt schaffen könnte (man dachte an eine Art Ausstieg aus dem Ausstieg aus den alten Schildern), feststellte, dass aus einem Formfehler im Gesetzgebungsverfahren (!) die Novelle sowieso ungültig war – Tadaa! Und schon wieder musste man sich fragen: sind die tatsächlich nur wahnsinnig blöd oder bauen die bösartig geniale Hintertürchen…?
Ich entschuldige mich für den Exkurs, aber das war zu Illustration wichtig, denn ich erahnen schon wieder so einen Coup. Nur dass diesmal streng genommen unsere gesamte Demokratie auf dem Spiel steht. Denn käme es zu einer Wahl (einer möglicherweise vorgezogenen, weil sich einer der beiden regierenden Koalitionspartner in gelben Rauch auflöst), wäre diese momentan verfassungswidrig, folglich jedes danach beschlossene Gesetz obsolet, blöderweise auch ein neues Wahlgesetz, ein Teufelskreis. Das gilt strenggenommen auch für den Fall, dass es tatsächlich noch in dieser Legislaturperiode zu einem neuen Wahlgesetz kommt, dass mindestens so schlecht ist, wie das beanstandete. Ich bin lediglich gespannt, ob dann das BVerfG endlich mal ordentlich auf die Kacke haut und endlich mal in der Politik eine Art Unterscheidung zwischen fahrlässig und mutwillig trifft und die ganze Mischpoke heimschickt.
Ceterum censeo: Wie ich schon öfter erwähnte, ich mag die Dualität zwischen Mehrheits- und Verhältniswahlrecht in unserem System. Das verhältnis-dominierte funktioniert offenbar schon rein mathematisch nicht richtig (zumal mit den beknackten Landeslisten). Das Problem ist gelöst, wenn die Hälfte der Sitze so, die andere so vergeben wird. Wenn wir dann noch die Direktstimme (Erststimme, gleichzeitig auch Regionalstimme) vom Parteienwust entkoppeln, können wir noch dazu die Unabhängigkeit der Abgeordneten massiv stärken. Letzteres klingt erstaunlich erstrebenswert, nicht wahr? Man sollte sich aber vor Augen halten, dass wir angeblich schon eine absolute Gewissensfreiheit unserer Abgeordneten haben.
Und dieses Wahlrecht gehört dann ins Grundgesetz. Es ist eine grobe Fahrlässigkeit unserer Gründungsväter, jede einfache Mehrheit am Rückgrat der Demokratie nach Belieben rumfrickeln zu lassen. Es ist zwar schön, mit 18 gewählt haben zu dürfen; ein fader Beigeschmack bleibt allerdings, wenn man bemerkt, dass die Koalition, die das ermöglicht hat wiederum damit nur anhand demographischer Prognosen ihre Chancen auf Wiederwahl vergrößern wollte…
Ein letztes noch zu Fahrlässigkeit, Mutwilligkeit und auf die Kacke hauende Verfassungsgerichte. Sanktionen! Es muss doch möglich sein, anhand von Protokollen nachzuvollziehen, wer wann und wie oft Anträge abgelehnt hat, die eine rechtzeitige Wahlrechtsdebatte einleiten wollten; es ist auch bekannt, welche Gremien die Tagesordnung beschließen. Bestrafen: persönlich oder parteilich, pekunär oder ideell. Recherchiert ein so angesehenes Gericht und befindet beiläufig, dass diese oder jene Personen oder Parteien oder Fraktionen oder Institutionen für die Verzögerung (mit)verantwortlich waren, hätte das nach meinem Dafürhalten durchaus einen Effekt, selbst, wenn es alle beträfe.

Kategorie: Politisches, Polito-Programmatisches 3 Kommentare »

3 Reaktionen zu “Wahlgesetz”

  1. @AlterPirat

    Mal abgesehen von der grundsätzlichen Kritik an Schwarz-Gelb und dem Herumgefrickel am Wahlrecht, muss ich Dir doch beim vorgeschlagenen Grabenwahlrecht widersprechen: Wenn Direktmandate und Listenmandate entkoppelt werden, schadet dies den kleinen Parteien. (Adenauer hat das das Grabenwahlrecht in den 50ern nicht zuletzt deshalb vorgeschlagen, um die FDP loszuwerden.)

    Viel besser wäre ein doppelt-proportionales Wahlrecht mit offenen Listen wie in einigen Schweizer Kantonen, z.B. Zürich, Aargau. (Google-Stichwort: Pukelsheim)

    Und ein Letztes: Eine Verfassung sollte nicht zu detailversessen sein. In den letzten Jahren sind schon viel zu viele Details ins Grundgesetz gerutscht, die in normalen Gesetzen besser geregelt gewesen werden. Und eine Verfassung sollte auch nicht wie bisher im Jahrestakt geändert werden.

  2. psycho

    Der doppelte Pukelsheim ist mir durchaus bekannt, löst aber nach meiner Ansicht nur das verfassungsrechtliche Problem, indem er einen mathematischen Irrsinn des bestehenden Systems ausbügelt, er zementiert allerdings die Dominanz der Verhältniswahl in unserem Wahlsystem. Fallen fast keine Überhangmandate mehr an, ist schon aus der Zweitstimme vollständig klar, welche Partei wo sitzt, nur noch nicht, welcher Politiker, denn bekanntlich werden die gewonnenen Direktmandate zuerst auf die zugeteilten Plätze verteilt, dann nach Listenrang.
    Ich habe das in diesem Beitrag nicht so klar gemacht, wie in anderen zu diesem Thema, aber mein Ziel ist es, die Erststimme nicht von der Verhältniswahl, sondern gleich vom Parteiensystem zu entkoppeln. Der Clou basiert darauf. dem, der sich zur Erststimmenwahl stellt (kann jeder Bürger des Wahlkreises tun), zu untersagen, gleichzeitig auf einer Liste einer Partei zu stehen.
    Dies würde nämlich den zentralen Mißstand beseitigen, dass die Parteien – vor allem die “großen” – mit ihren großen Pfunden versuchen können, die Direktstimmen einzuheimsen, den jeweiligen Kandidaten aber gleichzeitig eine Absicherung über die sogenannten sicheren Listenplätze zu bieten. Wäre letzteres nicht mehr möglich, würden möglicherweise einige Schwergewichte auf die Gefahr verzichten, gegen einen vielleicht doch engagierteren Herausforderer zu verlieren. Im Gegenzug wäre endlich eine Möglichkeit geschaffen völlig unabhängige Abgeordnete in den Bundestag zu bekommen, die ohne Angst um ihren Listenplatz nach ihrer Meinung agieren können, in der Überzeugung, sich vor ihrer Region bewähren zu können und damit ihre Wiederwahl zu sichern.
    Mit der Beseitigung des “doppelten Pfundes” würde das System also auch die wahnsinnige Macht der Hinterzimmer in den Parteizentralen schwächen und Verhandlungen und Abstimmungen wieder dort hin bringen, wo sie hingehören: in den Bundestag.
    Zur letzten Bemerkung: ich bin vollkommen Deiner Meinung, dass eine Verfassung nicht zu detailversessen sein sollte und dass sich eine gewisse inflationäre Verfassungsflickerei breitgemacht hat. Dies kann aber kein Pauschalargument gegen alle Verfassungsänderungen sein. Gerade das Wahlgesetz, zumindest dessen Grundzüge, als die Kernmitwirkungsmöglichkeit des Bürgers an seinem Staat, gehört für mich nicht zu den unnötigen Details, denn wie Du mit Deinem Adenauerexkurs rückwärts einräumst, liegt darin ein sehr großes Einflußpotential auf das Ergebnis der Wahl und mir persönlich ist das zu gefährlich, um da ständig einfache Mehrheiten – und damit immer die aktuelle Regierung für ihre eigene Wiederwahl – dran “herumfrickeln” zu lassen.
    Ich freue mich schon, von Dir zu lesen.

  3. Tobias Wichtrey

    Bemerkenswert finde ich auch, wie ich kürzlich im Spiegel gelesen habe, dass sogar der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags schon lange gewarnt hat, dass der jetzige Entwurf ein Schmarrn ist…


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