Karwochenspecial, Weltwärts

Es machten sich also auf: der Lotse, der Navigator und der Reisende. Und dabei ist es niemals ernsthaft eine Frage, ob nun eine Reise stattfindet. Jedoch ist es auch immer so, dass, wenn der Reisende nun nicht fährt, die Reise nicht stattfindet. Nunja, die Reise fand statt, also stimmte auch die Chemie zwischen Reisendem, Lotsen und Navigator, das Vertrauen war vorhanden.
Letzteres war beileibe auch Notwendigkeit, denn man hatte sich nichts einfaches vorgenommen. Die Reise sollte bis zu dem Ort führen, wo sie gestartet hatte. Und das rechtfertigte den ganzen betriebenen Aufwand.
Beim Reisevehikel handelte es sich um eine Art Fahrrad, das man sowohl mit seinen Füßen als auch mit der Kraft seiner Gedanken umtreiben und steuern konnte und das am meisten Fahrt aufnahm, wenn es direkt auf die Sonne zusteuerte.
Der Navigator hatte den Kurs aufs genaueste berechnet, der möglichst präzise nirgendwo hinführen würde und war bereit, jederzeit eine tiefgreifende Kurskorrektur vorzunehmen, sollte das Reiseziel das verlangen.
Des Lotsen Tätigkeit ist weisen und leiten. Hin auf Besonderheiten, herum um Gefahren; er kennt und fühlt sie, wähnt sie kommen. Tiefe benötigt seine Kenntnis, wendige Erfahrung seine Intuition, Behutsamkeit sein Handeln.
Nun zum Reisenden. Wiewohl er sich nach reiflicher Überlegung eigentlich vollends dem Wirken von Lotse und Navigator verschreibt, ist ja doch er der eigentliche Meister der Reise, seiner Reise. Er wird stets die Entscheidungen für seine Reise treffen, die Leitung durch Lotse und Navigator besteht, solange sie besteht und endet, wenn sie endet.
Doch was heißt hier endet, nun sollte die Reise erstmal beginnen. Der Reisende schwang sich auf sein Vehikel und war gespannt, wo ihn die Fahrt hinbringen würde, und das obwohl das Ziel von ihm gewählt und dessen Lage ihm bekannt waren.
Es war spannend, auf Reisen zu sein, denn so sehr er sich auch klargemacht hatte, auf Reisen sein zu werden, verrückte diese Entrückung dennoch die Wahrnehmung, was das Bewutsein erstmals zur Bestätigung zwang, tatsächlich auf Reisen zu sein. Man verändert sich mit der Landschaft, die man bereist, und wenn man diesen Zusammenhang akzeptiert hat, verändert sich die Landschaft mit einem selbst.
Die Reise führte in kleine und große Entfernungen, in denen man stets große und kleine Entdeckungen machen konnte; das größte Vergnügen bereitete dem Reisenden, Dinge zu entdecken, die er schon kannte. Denn obwohl er sie schon zu kennen glaubte, waren sie doch grundlegend anders. Sie waren nämlich genau so wie sie waren und wie er sie schon kannte, denn so mussten sie ja schließlich sein.
Nachdem er sich nun Ferne und Nähe angesehen hatte und feststellen musste, dass sie beide gleich weit voneinander und von ihm entfernt waren, stellte er fest, dass es niemals möglich wäre, alle Dinge in der Welt ständig neu zu erkennen und wieder neu kennenzulernen.
Ein Zeitproblem wäre es freilich nicht, denn die Zeit hatte er vorsorglich bereits angehalten, so musste er sich nicht ständig um deren Fortgang sorgen. Ernsthaft nötig wäre es zwar wohl auch nicht gewesen, alle Dinge in der Welt zu kennen, denn wenn es nicht möglich war, wie sollte es dann nötig sein?
Aber es amüsierte ihn. Die schiere Ziellosigkeit seiner Beschäftiung mit den Dingen bereitete Vergnügen.
Das Vehikel bewegte sich derweil immer weiter. Mit zunehmender Geschwindigkeit führte der Kurs des Navigators es wie an einer Perlenschnur geradewegs in Richtung Universum. Diese starre Bewegung brachte den Reisenden der Lösung seines nicht vorhandenen Problems näher: wenn er die Schöpfung in ihren Teilen nicht begreifen konnte, so wollte er sie einfach neu erfinden.
Der Lotse freute sich, dass die Fahrt den Reisenden in Bewegung versetzt zu haben schien. Er nickte dem Navigator zu, dieser lächelte zurück und leitete den finalen Schwenk ein, den die Reise nun verlangte: direkt auf die Sonne zu.
Der Reisende erkannte seine Chance: er breitete die Arme aus, öffnete den Mund zu einem einzigen Rachen, verschluckte die Sonne, und verwandelte sich in einen leuchtenden Vertilger von allem was war, was ist, was gewesen wäre, dessen seidig glänzende Haut von feurig pulsierenden Adern durchzogen war. Eine wahnsinnige Energie war es, die mit ihm eins wurde oder mit der er eins wurde; er war eins, er war alles.
Nun ist es ja so, dass alles eben nicht genug ist, wenn es nur eins ist. Also, um nicht unpräzise zu sein: es war mehr als genug, es war ja schließlich alles. Jedenfalls – nun im Wissen, alles selbst zu sein – entschied sich der Reisende, eine Schöpfung zu machen. Zuerst schöpfte er Papier und eine Tintenfeder.
Und so wie die Tinte, die er in plastischen Hügelzügen über das Papier verteilte von diesem zu flachen, beständigen Linien aufgesogen wurde, so verfestigten sich in ihm die Gedanken und Überzeugungen, wie seine Schöpfung aussehen sollte. Er gab sich damit durchaus Mühe, denn nichts zu tun ist durchaus gut und sinnvoll, zumindest ebenso sinnvoll wie irgendetwas, aber für den Anspruch, den man an sich selbst stellt, muss man durchaus etwas tun.
So hub der glühende Vertilger also an zu schöpfen und erschuf aus einem meisterlichen Gewebe von Energiebahnen, dessen zufällig wirkende Verbindungen Materie erzeugen, die Welt, die er mit allem was gewesen war, was war und was gewesen sein würde verschlungen hatte. Sie war viel besser als vorher, denn sie war so wie immer.
Nun befand er sich also wieder in der Gesellschaft von Lotse und Navigator am Ende seiner unglaublich langen Reise am Ort wo sie gestartet waren, erschöpft und zufrieden und stieß genüsslich die Zeit wieder an.
Eine Spinne springt vorbei: “Befreie Dich vom Anspruch!”

Kategorie: Allgemein, Buch IV, Kind des Glücks Ein Kommentar »

Eine Reaktion zu “Karwochenspecial, Weltwärts”

  1. psycho

    Die obige Version wurde von mir überarbeitet. Hier die authentische Skizze aus dem Notizbuch, die ich der Vollständigkeit halber auch darstellen möchte. In ihr sind auch die üblichen fettgedruckt integrierten Randnotizen enthalten.

    8.6.11 19:34 Es machten sich also auf: der Lotse, der Navigator und der Reisende. Und dabei ist es niemals ernsthaft eine Frage, ob nun eine Reise stattfindet. Jedoch ist es auch immer so, dass, wenn der Reisende nun nicht fährt, die Reise nicht stattfindet. Nunja, die Reise fand statt, also stimmte auch die Chemie zwischen Reisendem, Lotsen und Navigator, das Vertrauen war vorhanden.
    Das war beileibe auch Notwendigkeit, denn man hatte sich nicht wenig vorgenommen. Denn die Reise sollte bis zu dem Ort führen, wo sie gestartet hatte. Und das rechtfertigte den ganzen Aufwand.
    Beim Reisevehikel handelte es sich um eine Art Fahrrad, das man sowohl mit seinen Füßen als auch mit der Kraft seiner Gedanken umtreiben und steuern konnte und das am meisten Fahrt aufnahm, wenn es direkt auf die Sonne zusteuerte.
    Der Navigator hatte den Kurs aufs genaueste berechnet 23:31 und würde auch über die Einhaltung wachen – zwar. Aber er wäre kein guter Navigator, könnte er nicht stets reagieren und einen gleichwertigen Weg von jedem Punkt erarbeiten, an den es die Reisegruppe hin verschlagen hat.
    Des Lotsen Tätigkeit ist anders gelagert. Er kennt Stromschnellen, Untiefen, er vermeidet sie, ohne des Navigators Kurswahl zu beeinflussen; und er kann Akzente setzen.
    Hier mal links, rechts, oben unten gibt es was zu sehen, eine Besonderheit, er kennt sie, fühlt sie, wähnt sie kommen. Ein guter Lotse ist in Personalunion noch ein Stück weit Reiseführer.
    Nun zum Reisenden. Wiewohl er sich nach reiflicher Überlegung eigentlich vollends dem Wirken von Lotse 9.6. 19:20 und Navigator verschreibt, ist ja doch er der eigentliche Meister der Reise, es ist ja seine Reise. Er wird stets für sich die Entscheidungen für die Reise treffen, die Leitung durch Lotse und Navigator besteht, solange sie besteht und endet, wenn sie endet.
    Nun jedenfalls konnte die Reise beginnen. Der Reisende schwang sich auf sein Vehikel und war gespannt, wo ihn die Fahrt hinbringen würde.
    Spannung, nicht aber Anspannung ergriff Besitz von ihm und schon bald stellte sich auch im Bewusstsein ein, dass er sich tatsächlich auf einer Reise befand. Es war natürlich klar, dass, wer sich auf Reisen begibt, auf Reisen sein würde, dies aber dann tatsächlich erstmals wahrzunehmen, ist jedoch etwas vollkommen anderes. Man verändert sich mit der Landschaft, die man bereist, und wenn man diesen Zusammenhang akzeptiert hat, verändert sich die Landschaft mit einem selbst.
    Die Reise führte in kleine und große Entfernungen, in denen man stets große und kleine Entdeckungen machen konnte; das größte Vergnügen bereitete dem Reisenden, Dinge zu entdecken, die er schon kannte. Denn obwohl er sie schon zu kennen glaubte, waren sie doch grundlegend anders. Sie waren nämlich genau so wie sie waren und wie er sie schon kannte, denn so mussten sie ja schließlich sein.
    Nachdem er sich nun Ferne und Nähe angesehen hatte und feststellen musste, dass sie beide gleich weit voneinander und von ihm entfernt waren, 16.7.11.19:34 stellte er fest, dass es niemals möglich wäre, alle Dinge in der Welt ständig neu zu erkennen und wieder neu kennenzulernen.
    Ein Zeitproblem wäre es freilich nicht, denn die Zeit hatte er vorsorglich bereits angehalten, so musste er sich nicht ständig um deren Fortgang sorgen. Ernsthaft nötig wäre es wohl auch nicht gewesen, denn wenn es nicht möglich war, wie sollte es dann nötig sein?
    Aber es amüsierte ihn. Die schiere Inhaltslosigkeit seiner Beschäftiung mit den Dingen bereitete Vergnügen.
    Das Vehikel blieb aber nicht stehen. Mit zunehmender Geschwindigkeit führte der Kurs direkt in Richtung Universum.
    Diese starre Bewegung brachte den Reisenden der Lösung seines nicht vorhandenen Problems näher: wenn er die Schöpfung in ihren Teilen nicht begreifen konnte, so sollte er sie neu erfinden.
    Der Lotse freute sich, dass die Fahrt den Reisenden in Bewegung versetzt zu haben schien. Er nickte dem Navigator zu, dieser lächelte zurück und leitete den finalen Schwenk ein, den die Reise nun verlangte: gerade auf die Sonne zu.
    Der Reisende erkannte seine Chance: er breitete die Arme aus, öffnete den Mund zu einem einzigen Rachen, verschluckte die Sonne, und verwandelte sich in einen leuchtenden Vertilger von allem was war, was ist, was gewesen wäre.
    Es war eine wahnsinnige Energie, die mit ihm eins wurde oder mit der er eins wurde; er war eins, er war alles.
    22:03 Nun ist es ja so, dass alles eben nicht genug ist, wenn es nur eins ist. Also, um nicht unpräzise zu sein: es war mehr als genug, es war ja schließlich alles. Jedenfalls – nun im Wissen, alles selbst zu sein – entschied sich der Reisende, eine Schöpfung zu machen. Zuerst schöpfte er Papier und eine Tintenfeder.
    Und so wie die Tinte, die er in plastischen Hügelzügen über das Papier verteilte von diesem zu flachen, beständigen Linien aufgesogen wurde, so verfestigten sich in ihm die Gedanken und Überzeugungen, wie seine Schöpfung aussehen sollte. Er gab sich damit durchaus Mühe, denn nichts zu tun ist durchaus gut und sinnvoll, zumindest ebenso sinnvoll wie irgendetwas, aber für den Anspruch, den man an sich selbst stellt, muss man durchaus etwas tun.
    So hub der glühende Vertilger also an zu schöpfen und erschuf die Welt, die er mit allem was gewesen war, was war und was gewesen sein würde verschlungen hatte. Sie war viel besser als vorher, denn sie war so wie immer.
    Nun befand er sich also wieder in der Gesellschaft von Lotse und Navigator am Ende seiner unglaublich langen Reise am Ort wo sie gestartet waren, erschöpft und zufrieden und stieß genüsslich die Zeit wieder an.
    Eine Spinne springt vorbei: “Befreie Dich vom Anspruch!”


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