Was Sie über Mais wissen sollten

17.11.11 19:35 Mais, die polentaspendenden gelben Körnchen, deren vielseitig verwendbares Mehl universellen Einsatz in der Nahrungsmittelindustrie gefunden hat und spätestens als Grundgerüst für die aufplusterndcrunchigen Erdnuss-Locken seine für Peanuts aromatisierte Allgegenwart bei geselligen Anlässen gefunden hat, wohingegen jene als Sauerkonserve bei selbigen die unauslöschliche Diskussion, ob sie nun unverzichtbarer, fakultativer oder absolut abstoßender Bestandteil des aus mindestens zwei Konserven zusammengestelten Chilis nach Art des Hauses sind, stammt bekanntlich aus Südamerika.
22.11.11 09:38 digital, reanalog, verändert 25.11. 20:45 Es geht das Gerücht, ein indigener Gott – natürlich, sie hören lieber Überwesen mit historisch-lokaler Gotteskraft – habe ihn geschaffen, indem er eine goldene Träne in den Mutterboden fallen ließ, aus der sich der für seine Völker segensreiche güldene Lebensspender erhob. Eigentlich ein klasse Vorgang, diese Nuggetbaumpflanzung, lediglich den Alchimisten der alten Welt offenbar nicht bekannt gewesen, das Wissen um diese Technik hätte wohl mannigfach Verbrennungen, Verätzungen und Schwermetallvergiftungen unter den Anhängern dieser Zunft verhindert.
Nunja, letztendlich wären sie ja doch unzufrieden gewesen, dass zwar auf diese Weise wertvolles geschaffen wird, Nahrung, Rohstoff, Perspektive, aber eben garnienicht Edelmetall. Dass dieser Dritte-Welt-Zeus zwar silberblickend Gold über die Wangen kullern lassen kann, dieses aber, anstatt es zu horten, sich damit zu schmücken und eventuell mal gelegentlich als dekadent-wirkungsloses Nahrungsergänzungsmittel durch die Gedärme zu schieben, in ein Sozialprojekt verbuddelt, hätte sie auch zum Heulen gebracht – nur eben Rotz und Wasser.
Nun, so schlimm ist es dann doch nicht gekommen, da die Hersteller nahrungsmittelähnlicher Industrieprodukte gewissenhaft die Technik zu optimieren begannen, das zu wertlose Nahrungsmittel durch das richtige Maß an Denaturierung und behutsam-luftreiche Verpackung wieder zu Gold zu verwandeln. Immerhin ein ausgefeilterer Ansatz, als der der Zelloloidbeleuchter, lediglich die traditionelle Kombination von schlicht mittels Erhitzung zauberhaft entstellter getrockneter Maiskörnchen mit bewegten Bildern durch unverhältnismäßige Aufpreisung zu versilbern.
29.11.11.19:33 Bei dieser vielfältigen und verbreiteten Verwendung erwundert es doch sehr, daass eine zentrale Eigenschaft des Maises, die ihn zu einer der erstaunlichsten Geschöpfe in der Natur macht, nicht ausgenutzt, ja nichtmal außerhalb von Fachkreisen bekannt ist: seine Zweisämigkeit.
Dieser Begriff (lateinisch bisemilitas oder als latinisiertes Adjektiv bisem) bezeichnet Pflanzen, deren Reproduktionsmechanismus unabhängig 23:41 von den üblichen Mutationsabweichungen zwischen den Bestäubungsvariationen zwei unterschiedliche Samenkornchargen mit grundlegen verschiedenen Bauplänen bereithalten – natürlich bei gleicher genetischer Ausstattung.
Studien weisen darauf hin, dass diese Versionen über epigenetische Mechanismen, also über zweierlei Sätze an Genschalterstellungen, nicht aber an Genen, 1.12.11 9:30 realisiert wird.
Beim Mais wird die zweite Samenvarietät an einem besonderen Ort ausgebildet: in der Mitte des Strunkes entwickelt sich auf etwa halber Höhe im Maiskolben ein kleines schwarzes Körnchen, das von seinem Aussehen her viel mehr an einen Schwarzkümmelsamen denn an ein Maiskorn erinnert.
Pflanzt man dieses an, wächst daraus mit der zweiten Varietät eine Art süßer Nährmais. Die Wuchshöhe ist verglichen mit dem normalen Stärkemais etwas geringer, bezüglich der Wuchsform sind allerdings keine Unterschiede erkennbar. Auch die Frucht gleicht in der Form der bekannten, unterscheidet sich aber näher betrachtet sehr stark:
Angefangen bei den Hüllblättern sind diese sehr viel feiner und nicht faserig, so dass ihre frischen Spitzen als aromatische Salatbeigabe Verwendung finden können. Die gelben Körner sind ein bisschen kleiner als die der Normalform, aber deutlich süßer.
Überraschend bei dieser Varietät ist nun, dass der Kolben selbst mit einem recht süßen Fruchtfleich gefüllt ist, das in der Konsistenz an leicht unreife Bananen erinnert. Der Geschmack des Maisfleisches trägt ein Maisaroma, das gleichzeitig in seiner fruchtigen Süße an Birne erinnert.
Der Maiskolben aus dem schwarzen Mittelkorn lässt sich also nach dem Entfernen der gelben Hüllkörner noch schälen – zugegeben, nicht so komfortabel wie Bananen, deren Fasern in der Schale hauptsächlich längs verlaufen, wohingegen die Maisfasern ein robusteres Überkreuz-Geflecht bilden. Im Inneren findet sich dann volumenmäßig noch mal ähnlich viel Fruchtfleisch wie die Hüllkörner zusammen liefern. Und dieses birgt nur das eine schwarze Samenkorn.
Stellt sich die Frage, warum diese Fleischmaisvarietät nicht häufiger verwendet wird, sondern vielmehr total in Vergessenheit geraten zu sein scheint.
2.12.11 19:55 digital Das Problem liegt in der Beschaffenheit des Marktes. Obwohl viele Züchter, Bauern, Händler und auch die Nahrungsmittel verarbeitende Inustrie im Prinzip von dieser Varietät wissen, passt sie nicht in das Standardisierungskonzept bezüglich Verwertung, Vermarktung und Logistik.
Mais hat eben Mais zu sein und wird zum größten Anteil als getrocknetes Korn verkauft und verarbeitet, im Energiesektor dienen komplette Pflanzen als Biomasselieferant. Und nur zum geringsten Anteil gelangen die Kolben in den Verkauf und werden dann meist von Steakhausgästen oder Sommergrillern abgeknabbert.
Hierfür gibt es Strukturen, Maschinen, Abläufe. Nicht aber für den Fleischmais, der sich ob seines hohen Zuckergehalts eher Obstmais nennen sollte. Die markthemmenden Probleme beginnen schon bei der landwirtschaftlichen Produktion:
Noch gibt es keine Maschinen, die die Arbeit übernehmen, das schwarze Korn aus dem Strunk zu gewinnen, was einsehbarerweise aufwendiger ist, als das Abstreifen der Hüllkörner. Noch dazu ist die Ausbeite extrem gering, da ja nur ein Korn pro Maiskolben herausspringt.
Die kleinen Körnchen mit ihrem winzigen Mehlkörper und damit vergleichsweise kleinen Energiereservoir sind in ihrem Keimungsverhalten weniger robust, wodurch der Keimlingsertrag pro Aussaatmenge geringer ist als bei der herkömmlichen Sorte.
Und schließlich widersetzt sich der Mais auch noch dem Verteilungskonzept, da er durch seinen hohen Zuckergehalt gleichzeitig auch eine mit Obst vergleichbare Verderblichkeitsgeschwindigkeit hat, wodurch auch anschließend an die erschwerte Saatgutgewinnung und Aufzucht eine zeitnahe Vermarktung notwendig wäre.
Diesen Kampf gegen die Marktbedingungen haben in der Vergangenheit schon diverse traditionelle Lebensmittel verloren und so scheuen natürlich alle Beteiligten das Risiko, in dieses Randprodukt bzw. Strukturen für dessen Vermarktung zu investieren, zumal unbekanntes sowieso gerade im Ernährungssektor nicht leicht zu lancieren ist.
So wird der Fruchtfleischmais aus dem schwarzen Mittelkorn, der den Ureinwohnern Mittel- und Südamerikas willkommene Abwechslung und gleichzeitig zuverlässiger Nahrungsspender war, wohl weiterhin nur in Randnotizen von Fachzeitschriften Verbreitung finden, bis er vielleicht eines Tages den Sprung über ein kurzlebiges Modelebensmittel zurück zu den natürlichen Ernährern ganzer Generationen schafft.

Kategorie: Allgemein, Buch IV Kommentieren »


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