Marktdemokratische Staatsordnung

Ich möchte aus mannigfaltigen aktuellen Anlässen daran erinnern, dass das Deutsche Wirtschaftswunder zu einer Zeit stattfand, in der es hierzulande noch keine rechtliche Grundlage zum Einrichten einer Aktiengesellschaft gab. Unternehmerische Bonität und Verantwortungsbewusstheit bezifferte man entweder klar und deutlich in der beschränkten Haftung der GmbH oder drückte man damit aus, als Unternehmer mit seiner vollen Ich-Haftigkeit und auch Ich-Haftung im Unternehmen zu stecken, Wohl oder Wehe. Der theoretisch zu unbegrenztem Einkommen befähigte Unternehmer rechtfertigte dies damit, im Fehlfalle nicht nur auf seinen Bonus verzichten zu müssen, sondern im Zweifel auch auf sein Haus und sein Erspartes, außerdem Ansehen und Bonität.
Gleichzeitig wurden in der Wirtschaftswunderzeit Werte produziert. Banken überwiesen beflissentlich die Verbindlichkeiten ihrer Kunden und vermittelten dem gewillten Sparer gegen Provision in Form einer Zinsdifferenz einen Kreditnehmer mit einer guten Geschäftsidee oder einem nachvollziehbaren Rückzahlungsplan.
Durch die konzeptlose Deregulierung der sozialen Marktwirtschaft zur freien Marktwirtschaft wurden plötzlich – und nur von einigen Beteiligten sehr zielgerichtet – Möglichkeiten geschaffen, einen Wirtschaftszweig zu installieren, den es vorher so nicht gab, von dem aber auch nicht klar ist, ob er vorher gefehlt hat. Nun lernt man zusätzlich zu den drei Wirtschaftssektoren aus dem Schulbuch, dass auch noch der Beelzebub (entschuldigung, aber wir befinden uns schließlich in zeitlicher Umgebung vom christlichen Hochfest) namens (Hoch-)Finanzwirtschaft die Trinität von Landwirtschafts-, Industrie- und Dienstleistungssektor flankiert. Wie immer hat er sich durch Schmeicheln, Versprechen und Verwirren in eine Machtposition versetzt und die Garne so geschickt verwoben, dass der Gefangene sich nur immer weiter verstrickt, in seinem Versuch, sich zu befreien, ohne den bequemen Halt zu verlieren, die sie ihm vorspiegeln.
Gelegentlich scheint sein wahres Gesicht durch, auch wenn es keiner wahrnimmt: wenn es der marktwirtschaftlichen Logik folgt, dass der Staat als Aufsteller und Gewährleister der Rahmenbedingungen für das gesamte System mit einem Rettungsschirm aus Geld als ganz normaler Teilnehmer im Wirtschaftssystem eingliedern muss, um zur Justierung mal schnell hier und da einige Milliarden oder Billionen auf irgendwelche schwankenden Waagschalen zu werfen – so schnell (und auch unangekündigt), wohlgemerkt, dass auch eine demokratische Kontrolle durch das Parlament nicht möglich sein soll (was das Verfassungsgericht angenehmerweise gekippt hat)–, dann sollte der Staat der marktwirtschaftlichen Logik nicht folgen, weil diese damit selbst bewiesen hat, nicht vereinbar mit demokratischen Prinzipien zu sein. Sie liefert uns selbst die Begründungen, warum eine Demokratie nur als soziale Marktwirtschaft funktionieren kann, denn nur sie kann die nötige Austarierung schaffen, die verhindert, dass sowohl staatliche als auch im anderen Extrem eben außerstaatliche Institutionen zu viel Macht über die Individuen gewinnen, zu deren aller Dienst allein jedwedes System bestimmt sein muss.
Man sollte soziale Marktwirtschaft nicht auf die Komponente reduzieren, die gerne bestehende Ungleichheiten (in gewissem Maße) umverteilen möchte, sondern viel mehr ihre systemisch-regulatorischen Möglichkeiten begreifen und nutzen, die auch völlig ohne Umverteilung und ohne Limitierungen lediglich das Ausbrechen der Marktwirtschaft aus sozial verträglichen Grenzen. Wer immernochnicht weiß, dass auch Marktwirtschaft fein dosiert gehört, um ein stabiles System zu bilden, der hat wohl auch so einiges anderes nicht verstanden – oder eine Vereinbarung mit dem schwefelspeienden Weltverderber.

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