Präpuz

Vielleicht hätte ich da vor einiger Zeit noch anders darüber geschrieben, aber nun gebe ich das folgende Votum (ob es deren ein eindeutiges wird, wage ich noch selbst zu bezweifeln) ab, ohne zu vergessen, mit einem Schlenker des Unverständnisses über meine kulturelle Tradition herzuziehen.
Da gab es also tatsächlich ewige Konzferenzen, in denen erhitzt bis erregt diskutiert wurde von den katholischen Geistlichen, was nun mit dem allerheiligsten Präputium passiert sei, nachdem der Erlöser der Welt (angesichts des aktuell wieder herrschenden Chaos’ ist es schon spannend, dass diese Kirche es immernoch einigermaßen schafft, die Spannung zu halten, den Christenmenschen nach bereits erfolgter Erlösung auf eine weitere warten zu lassen und so noch alle Einsätze im Spiel zu behalten) mit unversehrtem Leib auferstanden war. Bedeutete "unversehrt" nun mit oder ohne Vorhaut? Und wenn ohne, wie viele und welche dieser Lederringreliquien, die in diversen Schreinen über die gesamte Christenheit verteilt waren, waren dann die echten und machte das die anderen unecht? Und wenn mit, ist dann die Echte von dort, wo sie vorher war (mir fehlt leider diesbezüglich das Wissen um den traditionellen Weiterverbleib des Circumcisionsreliktes) verschwunden? Und würde "unversehrt" dann angesichts dieser Beschneidungsregelung nicht weit über das gängige Hippie-Image dieses Jesus Christ hinaus merkwürdige Konsequenzen für seine Kopfbehaarung, Finger- und Zehennägel resultieren?
Nunja, wie die das auch gelöst haben, jedenfalls hat der Hippie schon durch sein Weltendeantäuschen dafür gesorgt, dass wir uns diese Gedanken nicht mehr für unsere eigenen Körperteile machen müssen, außerdem sind wir eh viel aufgeklärter geworden, allerdings müsste ich da sicherheitshalber vorher nochmal nachsehen, ob heliozentrische oder quantenmechanische Ketzereianteile in meinem Weltbild mich nicht bei Strafandrohung verbieten, in irgendeiner qualifizierten Form über meinen Kirchensteuerempfänger auszusagen. Aber als kleines Friedensangebot verkneife ich mir vorerst Meditationen über die Wechselwirkung von Haut- und Latexüberzügen oder Alleg(r)oriegebilde über Glans und purpurnes Soli-Deo-Käppchen, mit dem der Priester feierlich in die Absis eindringt.
Leider kann mir dieser große kulturelle Hintergrund – trotz oder wegen – des Vorkommens der Beschneidung in sich selbst in der aktuellen Diskussion nur wenig helfen. Darum muss ich wohl doch erstmal die Aufgeklärtheit (ich meine hier natürlich die im Sinne der epochalen Strömung und nicht die bezüglich Latex und Tampons) konsultieren. Und nachdem ich nach anfänglichem Meiden des Themas doch einiges dazu gelesen habe, habe ich mir sachlich folgende Position zurechtgelegt: Beschneidung ist überflüssig aus hygienischen Gründen (abgesehen von Sonderfällen); Beschneidung ist medizinisch notwendig in bestimmten Fällen; bei fachgerecht durchgeführten Beschneidungen ist das ein recht kleiner Eingriff (chirurgisch betrachtet) mit geringem Risiko, allerdings bleibt es dabei, dass eine unbegründete Beschneidung durch Schaffung des Risikos folglich das Gesamtrisiko erhöht und im schlechten Falle die Komplikationen in ausgeprägter Weise unangenehm sein können; ein Verbot der Beschneidung aus religiösen Gründen muss wohl zwangsläufig zu einer Verschiebung des Eingriffs in hygienisch und medizinisch unvorteilhaftere Gefilde nach sich ziehen.
Soweit sachlich. Aber diese ganze Aufklärerei neigt ja auch gerne dazu, Züge religiöser Eiferei anzunehmen, weswegen sie nicht unreflektiert verbleiben sollte: Religionsfreiheit, was sag ich, auch Freiheit der Weltanschauung, ist ein verdammt wichtiges Grundrecht. Das mit der körperlichen Unversehrtheit auch. Das muss irgendwie beides geschützt werden. Und die Kinder müssen auch irgendwie rausgeholt werden aus irgendwelchen Asofamilien wo sie verwahrlosen und weder Pflege noch Bildung erfahren.
Aber trifft das hier zu? Ist der Eingriff Körperverletzung? Schlimmer als abendliches Alkoholprügeln des Nachwuchses oder gleich schlimm? Und wie is des, wenn mich die Mama immer nur mit den angesagtesten Babybreis füttert und sich nach Jahren rausstellt, dass man da doch von etwas wichtigem zu viel oder zu wenig drin hatte und ich mich also hätte doch noch idealer entwickeln können?
Das ist doch alles garnicht vergleichbar, könnte ich sagen, aber ich könnts trotzdem versuchen: sie tun’s alle irgendwie eventuell ohne besseres Wissen und trotzdem darf ich unterschliedlich reagieren: manche meinens gut und manche meinen nur wenn man Glück hat überhaupt etwas. Und wenn man der Meinung ist, man ist das seinem Kind für dessen Seelenheil schuldig, dann muss sich der Staat vorerst raushalten, wenn er sein Religionsfreiheits- und Privatheitsschutzgerechte etwas ernst nimmt, zumal das Risiko vertretbar ist. Das heißt nicht, dass er nicht gelegentlich sagen kann, wie sich diese Sache aus medizinischer Sicht verhält, dass er nicht versuchen kann, in der Religionsgemeinschaft eine gewisse Liberalisierungsdiskussion loszutreten durch fachliche Information. Aber entscheiden müssen das die Betroffenen. Und – auch wenn man es gerne anders haben wollte – Entscheidungen von diesem Ausmaß treffen die Eltern für ihr Kind, zumindest, solange ihr kultureller Hintergrund das ausdrücklich verlangt.

Kategorie: Allgemein, Politisches Ein Kommentar »

Eine Reaktion zu “Präpuz”

  1. Tobias Wichtrey

    Interessantes Detail dazu, das ich heute aus der Süddeutschen erfahren habe: In Israel gibt es immer mehr Juden, die ihre Kinder aus genau diesen Gründen nicht beschneiden lassen.


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