Rotkäppchen, warum hast Du so große Augen?

Damit ich besser ins kindliche Schema passe und meinen Marktanteil bei der männlichen Zielgruppe erhöhe, indem ich an ihren Beschützerinstinkt appelliere. Aber lass uns aufhören, über meine Augen zu sprechen, Wolfgang, ich habe in meinem Körbchen auch zwei schöne Äpfel mitgebracht und wenn Du hier in deinem Treibhaus auch irgendwo eine schöne Banane und ein Paar Trauben hast, könnten wir miteinander einen leckeren Obstsalat machen.”
Doch als sie sich gerade auf die Suche machten, erfüllte ein Aufschrei Wolfgangs gläserne Behausung. Zu spät hatten sie bemerkt, dass drüben im Topf eine erhitzte Debatte am hochkochen war. Als sie dort ankamen, wo der Aufschrei seinen Ursprung hatte, war der ursprüngliche Inhalt des Topfes schon mit so sehr Luft durchsetzt, dass die eigentliche Substanz nun ein Vielfaches ihres Ausgangsvolumens ausfüllte, was das Fassungsvermögen des Topfes bei weitem übertraf. Der Schaum, der so nun vollends den ordnenden Einfluss des Topfes hinter sich ließ, begab sich nun selbst zur Quelle seiner Erhitzung, konnte aber diesen Kontakt in seiner substanzlichen Reduziertheit nicht überstehen. Doch anstatt das einzusehen, begann er, sein schaumiges Muster als bräunlich-schwarzes Geflecht in die Hitzequelle einzubrennen und dabei wie zur Unterstreichung seiner umfassenden Charakteränderung erbärmlich zu stinken.
Der Anblick dieser Katastrophe und speziell der Anruch dieser ganzen Situation stießen Rotkäppchen und Wolfgang so sehr auf, dass sie gar keine Lust mehr auf Obstsalat hatten, Wolfgang war sich auch garnicht mehr so sicher, ob sich hier eine Banane finden ließe. So machten sie sich also daran, die Sauerei aufzuräumen. Rotkäppchen ging den Topf ausspülen, während sich Wolfgang darum kümmerte, die eingebrannten Überreste des Schaumes von der Herdplatte zu kratzen.
Als Rotkäppchen am Spülbecken ankam, bemerkte sie, dass der feine Schaum beim Erkalten zu einigen wenigen größeren und irgendwie instabil wirkenden Blasen zusammengefallen war und man darunter schon wieder die dünne Flüssigkeit erkennen konnte, aus der diese Katastrophe erwachsen war, weil sie zu viel Hitze bekommen hatte. Schon als sie den Topf ausleerte, fand sie das irgendwie schade, dass sie beide nicht aufgepasst hatten, wäre doch bei pfleglicher Behandlung guter Pudding für sie beide daraus geworden.
Wolfgang dachte derweil darüber nach, dass wohl zu viel Hitze das Problem gewesen sein musste. Diese Hitzequelle würde mit ihrer unglaublichen Kraft einfach alles anbrennen, was man zu lange darauf köcheln ließe. Aber ohne Hitze lässt sich garnicht kochen, sinnierte er weiter, die Welt besteht ja – das ist zwar manchmal schade aber doch auch richtig so – nicht nur aus Salat.
In diese Gedanken hinein, sagte Rotkäppchen, die vom Spülen zurückgekehrt war zu ihm: “Hey Wolfgang, pass auf, wir waren wohl nicht ganz ehrlich zueinander: Ich hab so richtig Bock auf Schwanz und wenn Du mich immernoch hübsch findest, dann lass uns doch vögeln!”
Wolfgang willigte unter der Bedingung, vorher noch ein wenig “an den Titten spielen” zu dürfen, um wieder in Fahrt zu kommen, ein. Und wenn sie nicht gestorben sind… Halt! Etwas ist dann doch noch passiert. Beide hatten bemekt, dass die neue Offenheit, die sie sich seit dem Aufschrei abrangen, sie irgendwie daran hinderte, sich vollkommen in die Situation zu ergeben. Der Mangel an Phantasie und Abwechslung störte sie beide so sehr, dass sie nach einer Partnersitzung mit der Großmutter übereinkamen, wieder zur verspielten Art der Liebe zurückzukehren. Sie könnten sich auch so gegenseitig ernst nehmen und würden immer vorsichtig sein, den Bezug zur Realität nicht vollkommen zu verlieren auf dass ihnen der Pudding auch gelänge. So lebten sie glücklich und zufrieden. Gestorben sind sie irgendwann auch, aber sie haben glückliche Kinder und Kindeskinder hinterlassen, die weder Angst vor Treibhäusern hatten, noch jemals sorglos mit dem Obst anderer Leute umgegangen wären.
Geschrieben für Bank der Künste

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